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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schwieger
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»Wir fangen mit dem Jungen dort an.«
    »Mit wem?«
    »Na, mit dem da, der dort auf dem Gehsteig sitzt und seinen Apfel isst. Da, vor der Inschrift an der Wand.«
    »Ach so, der«, sagte Delia. Jetzt hatte auch sie den Jungen gesehen. Er saß auf der anderen Seite des kleinen Platzes.
    »Also gut, irgendetwas müssen wir ja …« Delia starrte mich an, als sei ich die Göttin Nemesis persönlich. »Was ist denn in dich gefahren?«
    Ich muss reichlich komisch ausgesehen haben. Wahrscheinlich hatte ich Augen und Mund weit aufgerissen und
    * Lateinisches Sprichwort: »Den Mutigen hilft das Glück.«
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    sah aus wie Theseus, als er zum ersten Mal den Minotaurus erblickte. Ich weiß es nicht mehr. Ich weiß nur, dass mir abwechselnd heiß und kalt wurde und es einige Atemzüge lang dauerte, bis ich etwas sagen konnte.
    »Da, da«, stotterte ich, »da, an der Wand.« Ich zeigte auf die Schriftzüge an der Mauer hinter dem Jungen.
    »Was ist damit?«, fragte Delia verständnislos. »Das ist Werbung für ein Gladiatorenspiel. Ist schon längst gelaufen, fand im Frühjahr statt.«
    »Lies doch genau!«, rief ich.
    Delia überflog die Buchstaben – und zuckte zusammen.
    »Beim Pollux!«, flüsterte sie und las die Ankündigung laut vor:
    FAMILIAE GLADIATORIAE LEONIS MORDACIS
    GLADIATORVM PARIA XV
    PRIDIE KALENDAS IVNIAS
    AMPHITHEATRO STATILII TAVRI PVGNABVNT
    SVMMVM CLEMENS RETIARIVS CONTRA VRBICVM
    SECVTOREM VENATIO ET VELA ERVNT*
    »Das ist es!«, flüsterte ich.
    »Die Abkürzung!«, wisperte Delia.
    Das konnte es sein: Die Gladiatorentruppe des Bissigen Löwen, auf Latein: Familia Gladiatoria Leonis Mordacis, ab-
    * Am 31. Mai werden 15 Gladiatorenpaare der Gladiatorentruppe des Bissigen Löwen im Amphitheater des Statilius Taurus auftreten. Höhepunkt: der Netzkämpfer Clemens gegen den Verfolger Urbicus. Auch Tierhetzen und Sonnensegel wird es geben.
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    gekürzt F G L M. Und dazu das Bild des brüllenden Löwen auf dem Amulett – das passte, das musste es sein!
    »Erinnerst du dich daran, was dein Vater vorhin gesagt hat?«
    »Was meinst du?«
    »Über die Menschen, die zur Göttin Nemesis beten.«
    Delia überlegte: »Enttäuschte Liebhaber, betrogene Bauern und … Gladiatoren! Beim Hercules – wir haben eine Spur.«
    »Und die führt uns direkt zu dieser Gladiatorentruppe.
    Weißt du, wo die ihr Quartier hat?«
    »Keine Ahnung«, sagte Delia, »aber das finden wir heraus.«
    Ich spürte, wie sich zum ersten Mal seit der vergangenen Nacht so etwas wie Zuversicht in mir regte. Ein Funken Hoffnung glimmte in mir auf, ein ziemlich kleiner Funken, aber immerhin.
    »Hey, du!« Delia machte einige Schritte über den kleinen Platz auf den Jungen zu, der gerade aufstand. Seinen Apfel hatte er mit Kern und Stiel restlos verputzt. Ich folgte ihr.
    »Ja, du«, sagte sie, als der Junge uns verwirrt anblickte. Er war deutlich jünger als wir, vielleicht zehn Jahre alt, und trug eine abgewetzte braune Tunica.
    »Weißt du, wo die Gladiatorentruppe des Bissigen Löwen ihr Quartier hat?«
    »Wie? Was?«
    Der Junge war überfordert mit unserem Überfall.
    »Na, die Truppe hier«, sagte Delia ungeduldig und zeigte auf die Buchstaben an der Wand.
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    »Ich kann nicht lesen«, sagte der Junge und hob entschul-digend die Hände.
    »Beim Cerberus!«, schimpfte Delia. »Hast du noch nie etwas von dieser Truppe gehört?«
    »Die Bissigen Löwen?«, fragte der Junge eingeschüchtert.
    »Ja, genau die!«
    »Doch.«
    »Und?«
    Wir rückten ihm so nah auf den Leib, dass er erschrocken einen Schritt zurückwich.
    »Das ist eine römische Truppe«, stammelte er und schaute uns verängstigt an. »Die kommen hier aus der Stadt.«
    »Mehr weißt du nicht?«
    Der Junge schüttelte den Kopf.
    »Ich war noch nie bei einem Gladiatorenspiel.«
    »Gut«, sagte Delia, »den Rest finden wir selbst heraus. Tut uns leid, dass wir dir Angst eingejagt haben. Hier, kauf dir was zu essen.« Sie zauberte flugs einen Sesterz aus ihrer Tunica und drückte ihn dem Jungen in die Hand. Die Miene des Jungen hellte sich auf. »Danke«, flüsterte er.
    »Komm«, sagte Delia zu mir. »Wir müssen diese Truppe finden!« Sie nahm energisch meine Hand und zog mich in eine der Gassen, die auf den Platz führten.
    Es dauerte nicht lange, bis wir das Quartier der Löwen gefunden hatten. Wir mussten nur drei Leute fragen, dann waren wir am Ziel. Wir erfuhren, dass diese Gladiatorentruppe in der Stadt sehr bekannt und beliebt war und eine der letzten, die sich noch nicht

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