Das Löwenamulett
in der Hand des Kaisers be-50
fanden. Sie hatte ihr Quartier in der Portunusgasse, unweit vom Tiberufer, ganz in der Nähe vom Rindermarkt. Als wir vor ihrem Haus standen, war es immer noch früher Vormittag.Das Haus hatte zwei Geschosse, ein flaches Dach und eine getünchte Fassade. Die weiße Farbe war schmutzig und von Schmierereien übersät, der Putz blätterte an vielen Stellen ab und ließ die braunen Ziegelsteine auf die Straße blicken.
Es gab eine Tür und rechts und links davon jeweils vier Fenster, zwei im Erdgeschoss, zwei im ersten Stock, deren Holzläden verschlossen waren.
»Und jetzt?«, fragte ich, als wir unschlüssig mitten in der engen und belebten Gasse vor der Haustür standen. »Sollen wir anklopfen und uns erkundigen, ob hier jemand wohnt, der gestern Nacht Senator Metellus überfallen hat?«
Delia presste die Lippen zusammen und schüttelte un-wirsch den Kopf.
»Wir könnten warten«, schlug ich vor, »bis jemand herauskommt oder hineingeht, jemand, auf den Myrons Beschreibung passt.«
Delia schnaufte. »Wir sind auf unserem Weg hierher etwa zwanzig Männern begegnet, auf die diese Beschreibung passt.«
Ich sah ein, dass sie recht hatte.
»Aber was dann?«, fragte ich mutlos.
»Wir müssen da hinein«, sagte Delia bestimmt und zeigte auf das Haus. »Und zwar möglichst schnell.«
Ich starrte ängstlich auf die verschlossene Tür. »Könnte uns dein Vater nicht helfen?«, begann ich zögerlich. »Er ist 51
doch ein bekannter Dichter. Viele Menschen lesen seine Bücher, sogar Senatoren und der Kaiser persönlich. Das hast du mir erzählt. Vielleicht kennt er jemanden, der …«
»Das dauert alles viel zu lange!« Delia ballte die Fäuste.
Ich fürchtete schon, dass sie sich gewaltsam Einlass verschaf-fen wollte.
»Ich gehe jetzt und klopfe.«
»Nein!«
Ich hielt sie zurück. »Das ist dumm. Die werfen uns sofort hinaus. Wir könnten … Warte!«
Mir war ein Junge aufgefallen, der sich dem Haus der Löwentruppe näherte. Offenbar kam er gerade vom Markt, wahrscheinlich vom Rindermarkt, der nur ein paar Schritte rechts von uns am Ende der Portunusgasse begann. Er trug zwei große Körbe, voll mit Einkäufen, die er, als er die Tür zum Haus der Löwentruppe erreicht hatte, auf den Gehsteig stellte. In dem Moment, als er die Klinke herunterdrückte, rief ich ihm zu: »Hey, du!«
Er drehte sich um und lächelte. Er hatte freundliche braune Augen. Seine graue Tunica war ausgefranst und von Flecken übersät. Schweiß lief ihm in kleinen Rinnsalen von der Stirn und hinterließ schmale Staubfurchen auf seinen Wangen. Er war etwas älter als der Junge mit dem Apfel, vielleicht elf oder zwölf Jahre alt.
»Meinst du mich?«
»Ja, dich.«
Was tat ich nur? Ich wusste nicht, was ich jetzt sagen sollte. Der Junge stemmte die Hände in die Hüften und schaute mich fragend an.
52
»Äh, also …«
Ich brauchte eine gute Idee!
»Ist das hier das Haus der Familia Gladiatoria Leonis Mordacis?«
Das war nicht gerade genial, aber immerhin gewann ich dadurch Zeit.
»Ja«, sagte der Junge. »Das ist es. Seid ihr Fans?«
Da war sie, die Idee!
»Ja«, beeilte ich mich zu versichern, »das sind wir. Wir waren bei eurem letzten Auftritt im Amphitheater und haben euch kämpfen gesehen. Das war toll!«
»Wirklich?«, fragte der Junge und legte den Kopf zur Seite.
»Ja, wirklich!«, rief Delia, die sich neben mich gestellt hatte. »Besonders dieser eine Gladiator, der war großartig!«
»Welcher?«, fragte der Junge. »Bei uns gibt es vierund-dreißig davon.«
»Clemens!«, rief ich. Hera sei Dank, ich konnte mich an den Namen erinnern! Er stand an der Wand oben auf dem Aventin.
»Ja, Clemens.« Delia pflichtete mir bei. »Der war super.«
»Ihr habt recht«, sagte der Junge. »Clemens ist einer der besten. Ist schon seit einem Jahr bei uns, hat bisher alle Kämpfe gewonnen. Bis auf den ersten, aber bei dem hatte er so gut gekämpft, dass der Veranstalter ihm das Leben geschenkt hat.«
»Können wir ihn vielleicht mal sehen?«
Ich strahlte den Jungen an, obwohl ich befürchtete, dass meine Frage ihn überraschen würde. Doch er wiegte nur den Kopf und sagte: »So einfach ist das nicht. Die Männer trai-53
nieren gerade. Ich kann euch nicht einfach mit hineinneh-men.«
»Ach, bitte!«, schnurrte Delia. »Nur einen kleinen Augenblick. Wir stören auch nicht. Ich bin übrigens Delia. Mein Vater ist ein berühmter Dichter. Und das ist meine Freundin Lycoris. Ihr Vater ist einer der
Weitere Kostenlose Bücher