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Das Löwenamulett

Das Löwenamulett

Titel: Das Löwenamulett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Schwieger
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zusammengeflunkertes Zeug konnte doch kein vernünftiger Mensch für bare Münze nehmen! Doch Lysander tat es.
    Oder er fühlte sich durch unser gespieltes Interesse so ge-schmeichelt, dass er über unsere Lügengeschichte hinweg-sah. Ich weiß es nicht.
    »Ich glaube«, fuhr er fort, »Urbicus und zwei andere Männer sind gestern Abend tatsächlich nicht im Haus gewesen.
    Auf jeden Fall waren sie beim Abendessen nicht dabei. Das weiß ich, weil ich den Tisch gedeckt und die Köchin mir vorher gesagt hatte, dass ich für die drei nicht decken soll.«
    »Und in der Nacht?«, fragte ich. »Waren sie in der Nacht im Haus?«
    »Keine Ahnung«, sagte Lysander. »Heute Morgen beim Frühstück waren sie auf jeden Fall da. Und im Moment trainieren sie.«
    »Wann sind sie zurückgekommen?«
    »Also, Mädchen, ich dachte, ihr wolltet den Männern beim Training zuschauen. Woher soll ich denn wissen, wann die beiden zurückgekommen sind? Ich bin früh in meine Kammer gegangen und habe die ganze Nacht hindurch fest geschlafen.«
    »Schon gut.« Delia legte beschwichtigend die Hand auf 60

    seine Schulter. »Du weißt ja, Mädchen sind manchmal sehr neugierig. Können wir jetzt ins Haus?«
    »Aber keine Fragen mehr, klar?« Lysander hatte offenbar die Geduld mit uns verloren. »Ihr tragt die Körbe, ich lotse euch in den Innenhof, wo die Männer gerade trainieren, und ihr setzt euch still auf eine Bank im Schatten des Säulengangs. Von dort könnt ihr gut zugucken und werdet nicht so leicht bemerkt.«
    »Machen wir«, sagte ich. »Wir freuen uns schon auf Clemens.«
    »Und auf Urbicus«, ergänzte Delia. »Auf den ganz besonders.«
    Sie knuffte mir in die Seite und zwinkerte mir zu, als wir, jede einen schweren Korb in der Hand, hinter Lysander das Haus der Bissigen Löwen betraten.

    Zur fünften Stunde an den Iden des Juli, am Vormittag des 15. Juli
    Dasaßenwirnunalso,imInnenhofderGladiatorenschule des Bissigen Löwen, und schauten dreißig schwitzen-den Männern beim Training zu. Dass wir uns hier sonderlich wohl fühlten, konnte ich nicht gerade behaupten.
    Der Hof war eine rechteckige Sandfläche, an drei Seiten von Säulengängen begrenzt, die Rückseite bildete eine hohe Mauer aus verwitterten Ziegelsteinen. Wir saßen auf einer Bank am Rande des Hofes, im Schatten des rechten Säulen-ganges, und versuchten, nicht aufzufallen.
    Die Gladiatoren trainierten nur wenige Schritte vor uns.
    Sie brüllten und schnauften, keuchten und stöhnten und schlugen mit stumpfen Holzwaffen auf klobige Pfähle ein, die über die ganze Hoffläche verteilt im Sand steckten. Wir sahen, wie der Trainer, der zwischen den Männern umher-62

    lief, den einen Tipps gab, die anderen anschnauzte und immer wieder seine Peitsche knallen ließ, wenn ihm eine Bewegung oder ein Hieb nicht gefiel.
    Die Männer mühten sich verbissen. Alle waren barfuß, die meisten trugen eine schäbige Tunica, die anderen kämpften mit freiem Oberkörper, nur mit einem Lendenschurz bekleidet. Ich staunte über ihre Kraft. Beim Herakles, was waren das für Kerle! Oberarme so dick wie Wasserrohre, Beine so kräftig wie Säulentrommeln. Und jeder war übersät mit Narben, im Gesicht, auf der Brust, an Armen und Beinen.
    Direkt vor uns prügelte ein blonder Riese auf den Pfahl ein.
    Seine Brust war so breit wie ein Weinfass, auf seinen Schultern hätte er ein ausgewachsenes Nilpferd tragen können. Er hatte ein kantiges Gesicht, ein ausgeprägtes Kinn und strah-lend blaue Augen.
    »Bestimmt ein Germane«, flüsterte Delia.
    »Meinst du?«
    Ich hatte noch nie einen Germanen gesehen, nur unheim-liche Geschichten gehört: von den tiefen Wäldern, in denen sie hausen, von der bitteren Kälte, die dort herrscht, im Winter wie im Sommer, von ihrem Ungestüm und ihrer Kamp-feslust. Vater hatte mir einmal von den Legionen erzählt.
    Von den römischen Soldaten, die dort im hohen Norden hinter dem Rhein mit den Germanen kämpften und nicht viel zu lachen hatten. Wenn wirklich alle Germanen so aussahen wie dieser blonde Riese, dann war es gewiss kein Vergnügen, als römischer Legionär dort stationiert zu sein.
    Dass die Gladiatoren uns nicht bemerken würden, war eine leere Hoffnung. Sie schauten immer wieder zu uns he-63

    rüber. Einige tuschelten miteinander und zeigten mit dem Finger auf uns, einer zwinkerte uns sogar zu. Wir hatten ein reichlich mulmiges Gefühl. Ich zog die Knie an die Brust und drückte mich mit dem Rücken fest an die Wand. Jetzt nur nicht auffallen! Wo wir

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