Das Löwenamulett
doch schon so weit gekommen waren.Nachdem wir dank Lysander bis in das Haus gelangt waren, hatten wir die Körbe in die Küche gebracht – die Köchin war ein furchtbar mürrisches Weib! – und Lysander hatte mit dem Trainer gesprochen und ihn mit viel Mühe über-redet, dass wir einen Moment zugucken durften.
»Ihr könnt nicht lange bleiben«, hatte er uns noch zuge-raunt und dann auf die Bank im Säulengang gezeigt.
»Setzt euch dahin, hinter euch werkeln die Tischler, dann fallt ihr vielleicht nicht so auf.«
Tatsächlich konnten wir hören, dass in dem Raum hinter der Wand gesägt und gehobelt wurde. Werkzeug, Sägespäne, einige Bretter und Leisten lagen neben der Tür. Wir schauten gebannt auf das Treiben auf dem Sandplatz. Wer von diesen dreißig Männern war Urbicus? Es gab nicht weniger als sechs Gladiatoren, auf die Myrons Beschreibung zutref-fen konnte. Zwei von ihnen trugen das Löwenamulett, die konnten wir ausschließen. Aber wer von den übrigen vier war es? Wir überlegten flüsternd hin und her, doch wir kamen nicht weiter. Endlich gesellte sich Lysander zu uns.
»Ich kann nicht lange bleiben«, flüsterte er, »muss der Köchin helfen. Wird Zeit, dass wir mal ein Küchenmädchen bekommen. Hat eine von euch nicht vielleicht Lust?« Er grinste. Wir müssen so entsetzt geguckt haben, dass er schnell 64
hinzufügte: »War doch nur ein Scherz! Und, gefällt’s euch?
Clemens ist gut, nicht wahr?«
Ich schluckte, Delia lächelte verlegen. Woher, bei allen Göttern des Olymp, sollten wir wissen, welcher von den Männern dieser Clemens war? Vor uns trainierten dreißig Gladiatoren, und jeder, wirklich jeder, konnte es sein, vielleicht sogar dieser germanische Riese.
»Ja«, sagte ich, »er kämpft nicht nur wie ein Löwe, er trainiert auch so.«
»Na ja«, erwiderte Lysander irritiert, »im Moment scheint er sich eher auszuruhen.«
Ich spürte, wie ich rot wurde. So unauffällig es eben ging, ließ ich meine Augen über den Sandplatz schweifen und entdeckte am anderen Ende einen Gladiator, der sein Gesicht in ein Tuch tauchte. War das Clemens?
»Klar, muss ja auch mal sein«, sagte ich und versuchte, möglichst gelassen zu klingen.
Hatte Lysander bemerkt, dass wir nicht die leiseste Ahnung hatten, wer von diesen Männern Clemens war? Er stand neben unserer Bank, die Arme vor der Brust verschränkt, und schaute wie wir dem Treiben der Gladiatoren zu.»Er ist sehr verschlossen«, raunte er uns mit wichtiger Miene zu, »redet nicht viel, hat keine Freunde in der Truppe.«
»Wer?«, fragte ich und biss mir im selben Moment auf die Zunge.
»Na, Clemens natürlich«, sagte Delia und stieß mich an.
»Aber er ist ein guter Kämpfer«, fuhr sie fort, »nicht 65
wahr?« Ich bewunderte sie für ihre Gelassenheit. »Ein … ein Netzkämpfer. Kämpfen die nicht auch mit so einem …?«
»Dreizack«, sagte Lysander. »Ihr seid wirklich noch nicht lange dabei, was? Seht ihr, jetzt nimmt Clemens den Dreizack und gleich wird er da drüben auf den Pfahl einstechen.«
Der Gladiator, der eben noch sein Gesicht getrocknet hatte, nahm jetzt tatsächlich eine Art Mistgabel und stach damit auf einen Holzpfahl ein. Das also war Clemens. Ehrlich gesagt, war uns das ziemlich egal. Clemens gehörte nicht zu den Gladiatoren, die nachts Ausgang hatten. Außerdem waren seine Haare kurz geschoren.
»Sag mal«, fragte Delia unvermittelt, »wo ist eigentlich Urbicus?«
»Da, an dem Pfahl neben Clemens, der mit dem Holzschwert.«
Jetzt endlich sahen wir ihn! Urbicus trug nur einen Lendenschurz, seine schweißnasse Brust glänzte in der Sonne.
Er übte mit einem Holzschwert Stiche auf den unteren Teil des Pfahls. In der Arena hätte er wohl auf diese Weise die Füße seines Gegners durchlöchert. Er hatte halblanges dunkles Haar, so wie Myron es beschrieben hatte. Und er trug kein Amulett! Das konnten wir von unserem Platz aus sofort erkennen, denn er trainierte mit freiem Oberkörper.
Ich warf Delia einen kurzen Blick zu. Sie nickte unauffällig.
»Ja, das ist er«, sagte ich, »den haben wir gestern Abend auf dem Forum gesehen. Aber wo ist denn sein Löwenamulett?«
Gespannt wartete ich auf Lysanders Reaktion.
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»Was Mädchen so auffällt«, sagte er grinsend. »Aber du hast recht, Urbicus trägt kein Amulett. Das ist in der Tat ungewöhnlich.« Lysander runzelte die Stirn. »Wisst ihr, Urbicus ist nämlich abergläubisch. Er glaubt fest daran, dass Nemesis ihn beschützt, solange er das Amulett trägt.
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