Das Los: Thriller (German Edition)
Aufmerksamkeit. Inmitten der kleinen Ansammlung von vielleicht acht oder neun Frauen glaubte er auch das Kostüm von Marie zu erkennen.
Als er näher kam, hörte er das Gekicher von vielen Weibern, die den Erzählungen einer dunklen Männerstimme lauschten. Endlich erreichte er das Grüppchen. Von Marie war nichts zu sehen. Jedoch glaubte er, aus den vielen fröhlichen Stimmen inmitten des Pulks auch die ihre herauszuhören. Er drängelte sich mit einigen unsanften Griffen und Remplern durch die Masse an Frauenleibern, bis er endlich einen Blick auf denjenigen werfen konnte, der hier seine Reden schwang.
Dieser trug, wie er auch, das Kostüm eines Harlekins. Nur schienen die Farben seines Stoffes greller, die Maske pompöser. Den Oberkörper zurückgelehnt, den Mund weit geöffnet, parlierte er mit ebenso kräftiger wie angenehm weicher Stimme.
»Also sagte ich zu dem Marquis: Wenn Ihr Euch dessen so sicher seid, dann leiht mir Eure Gemahlin nur für eine Nacht, und wir werden sehen, wer sie besser zu gebrauchen weiß, ich oder Ihr!«
Mit dem Erzähler begannen alle Umstehenden laut prustend zu lachen. Erst als die Frau neben Calzabigi sich vor Lachen krümmte und somit den Blick freigab, fiel ihm die Dame auf, die zur Linken am Arm des scheinbaren Frauenschwarms hing.
Es war Marie.
Noch irritierender als ihr Anblick an der Seite des fremden Mannes war, dass irgendetwas an ihr verändert schien. Verstört las er in ihrem Gesicht. Unter der Maske leuchteten ihre Wangen puterrot. In ihren Augen lag ein Glanz wie von Mondlicht auf einem dunklen Bergsee, ihre weißen Zähne strahlten dem Mann entgegen wie Schnee, und sie lachte ausgelassen, fast herzlich. Alles an ihr schien gelöst.
Die in Calzabigi aufsteigende Eifersucht wurde plötzlich von einem anderen Gefühl überlagert. Beim Klang der Stimme des Mannes stiegen in ihm Erinnerungen an seine Vergangenheit empor. Die Stimme schien ihm vertraut. Er schob sich weiter nach vorn, um einen noch besseren Blick auf denjenigen zu werfen, der hier mühelos die Aufmerksamkeit der weiblichen Karnevalsgäste auf sich zog.
Er kannte nur einen Einzigen, dem dies zuzutrauen war, jedoch hätte er es wohl gewusst, wenn diese Person sich in Berlin aufhalten würde. Die Größe des Mannes kam hin, auch sein venezianischer Akzent schien Calzabigis Verdacht zu bestätigen. Indes verhinderte die Maske des Mannes, dass Calzabigi sich sicher sein konnte.
Endlich bemerkte auch der andere ihn, und er bildete sich ein, ein Lächeln des Wiedererkennens über dessen Gesicht huschen zu sehen.
»Meine Damen, ein weiterer Harlekin gesellt sich zu uns. Lasst ihn durch, mit zwei Arlecchini könnt Ihr ohne Zweifel mehr anstellen als mit nur einem!«
Nun bemerkte auch Marie den Neuankömmling und löste sich vom Arm des Mannes. Gleichzeitig kehrte der schüchterne Ausdruck in ihre Augen zurück, von dem Calzabigi bislang gedacht hatte, es sei ihr einziger. Noch während er sie anstarrte, erhielt Calzabigi von hinten einen Stoß in den Rücken und stolperte nach vorn, sodass er sich unversehens Auge in Auge mit dem anderen Mann fand. Der grinste ihn an. Der Gestank von in Mengen konsumiertem Wein und Bier schlug Calzabigi entgegen.
»Seid Ihr es?«, flüsterte Calzabigi, als habe er einen Geist getroffen, und musterte nun von Nahem die Partien des Gesichts, die nicht durch die Maske verborgen wurden.
»Er fragt, ob ich es bin!«, gab der andere seine Frage belustigt in die Runde und erntete dafür albernes Gelächter. »Ob ich es bin oder nicht, kommt darauf an, wem Ihr glaubt, gegenüberzustehen, guter Herr! Sucht Ihr einen Zauberer oder gar den König, so muss ich Euch enttäuschen. Haltet Ihr aber nach einem Harlekin Ausschau, dann habt Ihr ihn gefunden. Jedoch muss ich Euch wieder enttäuschen, mein Herz gehört nämlich den Frauen. Meistens zumindest!«
Anzügliches Grunzen, wie das eines wilden Ebers, begleitete seine laut gesprochenen Worte, was Calzabigi nur sicherer werden ließ, dass er sich nicht irrte.
»Casanova, Ihr seid es!«, rief Calzabigi aus.
Schlagartig wurde es ruhig um sie herum, sodass für einen Augenblick nur die Musik zu vernehmen war, und auch das Lachen auf dem Gesicht des schrillen Harlekins erfror. Dann erhob sich ein Tuscheln aus den beschwipsten Kehlen.
»Casanova?«, zischte eine.
»Ist er es?«, fragte eine andere.
Der Mann ergriff plötzlich Calzabigis Arm und schob ihn wie einen Rammbock vor sich her, was den Ring aus neugieriger Weiblichkeit
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