Das Los: Thriller (German Edition)
Kontor mit der Nummer 1302 bringen sollte, damit die glücklichen Gewinner ausgezahlt werden konnten.
Er wusste, dass Hainchelin dahintersteckte, indes konnte er sich nicht erklären, wie er es anstellte. Immer wieder hatte Calzabigi die Trommel und die Kapseln mit den Losen am Tag der Ziehung überprüft. Jede Bewegung der Beteiligten beobachtet. Alle Bücher wieder und wieder studiert. Doch er hatte nichts Verdächtiges bemerkt.
»Schaut, der König steigt von der Loge hinab!«, rief Marie begeistert.
Sie war als Colombina verkleidet, und obwohl sie das schlichte Kostüm einer Köchin trug und ihr wunderschönes Gesicht unter einer einfachen Maske verbarg, verströmte sie eine solche verführerische Weiblichkeit, dass ihm bei ihrem Anblick ganz schwindelig wurde. Immer wieder erschienen vor ihnen verkleidete Männer und hoben, enthemmt von der ausgelassenen Stimmung im Saal, Maries Rock in die Höhe, bevor er die Betrunkenen unter den schlimmsten Flüchen davonscheuchte, die sein Heimatland kannte.
Jetzt, wo es auf Mitternacht zuging, hatten der König und sein Gefolge sich aufgemacht, um den traditionellen Gang durch den Saal anzutreten. Calzabigi hatte den ganzen Abend über immer wieder besorgte Blicke zur Königsloge geworfen und zu seiner Beruhigung festgestellt, dass der König auch bei dieser Karnevalsfeier nicht beabsichtigte, das Zeremoniell zu brechen und sich vorzeitig unter seine Gäste zu mischen. Obwohl Calzabigi kostümiert und daher nicht leicht zu erkennen war, hatte er keine große Lust, dem König zu begegnen. Derzeit konnte er sich selbst nicht erklären, wie es zu den Verlusten gekommen war – und noch weniger dem König.
Mit seinem Arm hielt er Marie an der Hüfte fest, da sie mittlerweile auf ihre Zehenspitzen gestiegen war, um den König besser erblicken zu können. Ihre Taille fühlte sich unter dem Kleid fest und warm an und steigerte sein Verlangen noch mehr. Seine Hand wanderte weiter zu ihrem Hinterteil, das er unter dem Kleid nur erahnen konnte. Plötzlich quiekte sie auf und gab ihm einen Klaps auf seine Hand.
»Untersteht Euch!«, rief sie ärgerlich, und zwischen den schlichten Ornamenten ihrer Maske sah er ihre dunklen Augen böse funkeln.
Peinlich berührt schaute Calzabigi sich um, aber niemand schien die Szene mitbekommen zu haben.
»Denk an unser Geschäft: Du bist meine Gemahlin!«, raunte er ihr zu.
Marie verschränkte ihre Arme und drehte sich zur Seite. Das Orchester machte eine kurze Pause, um zur Begleitung des Königs einen Marsch zu spielen.
Das viele Bier, der schwere Wein, die Musik. All dies schien auch Calzabigis Verstand mit einem Male leicht werden zu lassen. Er beugte sich vor und flüsterte ihr direkt ins Ohr: »Ich liebe dich wirklich, Marie. Fühlst du denn gar nichts?«
Marie drehte sich zu ihm um und öffnete den Mund, dann aber schluckte sie die Antwort herunter, die ihr auf der Zunge lag. Mit traurigem Blick wandte sie sich wieder ab.
Doch er ließ nicht von ihr ab. Sein Kinn berührte leicht ihre Schulter, die sich kalt anfühlte. Plötzlich war er nicht mehr Herr seiner Gefühle. Wut stieg in ihm auf. Er umschlang sie von hinten mit beiden Armen und presste seine Lippen an ihren Hals.
»Alles, was ich von dir verlange, ist, dass du deine Pflichten erfüllst!« Die Wirkung des Alkohols ließ seine Gedanken verschwimmen.
Marie ging leicht in die Knie und entwand sich so seinem Griff. Dann stieß sie ihn energisch von sich weg. »Die Liebe weiß nichts von Gesetz und Pflicht. Genug jetzt, du gefällst mir nicht!«
»Sehr gut!«, rief plötzlich eine Stimme neben ihnen. »Mein Applaus!«
Ein Mann trat zu ihnen heran, der vollkommen in Schwarz gekleidet war: von den Schuhen über die Hose und Jacke bis hin zu der Kappe und der Maske, deren Mitte eine große Knollennase zierte. In der Hand schwenkte er einen halb leeren Weinkelch, dessen Inhalt bei jedem Wort bedrohlich hin und her schwappte.
»Habt Ihr es erkannt?«, fragte er Calzabigi.
»Was erkannt?«, entgegnete Calzabigi patzig. Die ganze Zeit über hatte er befürchtet, dass Hainchelin auftauchte, nun schien er ihn doch noch erkannt zu haben.
»Sie hat Cleopatra zitiert. Aus der Oper vorhin. ›Die Liebe weiß nichts von Gesetz und Pflicht. Genug jetzt, du gefällst mir nicht!‹ Cleopatra hat es zu Arsace gesagt, im ersten Akt! Habt Ihr nicht aufgepasst? Ihr müsst es verstanden haben – die Oper war auf Italienisch!«
Calzabigi rang nach Worten. Vor dem Beginn des Maskenballs
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