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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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Urkundenrollen stapelten sich neben den Akten auf seinem Schreibtisch, einem alten Familienerbstück aus Florenz. Er hatte ihn schon anonym im Internet angeboten, doch kein Interessent war bereit gewesen, den von ihm geforderten Preis zu zahlen. Im Kopf überschlug er, was er für die Akten, die es heute zu bearbeiten galt, abrechnen konnte. Für einen normalen Römer ein kleines Vermögen. Für ihn zu wenig. So viel er mit dem Notariat auch einnahm, so schnell rann es ihm durch die Finger. Was er hier verdiente, gab er abends wieder aus, und er vermutete, dass zumindest ein kleiner Teil von dem, was er in den noblen Hinterzimmern der Stadt verlor, irgendwann wieder auf seinem Notarkonto landete.
    Er hatte sich schon lange eingestanden, dass es eine Sucht war. Jeder vernünftige Mensch hätte an seiner Stelle schon lange aufgehört. Eingesehen, dass es an den Roulettetischen über kurz oder lang mehr zu verlieren gab als zu gewinnen. Aber das war der Punkt: Ihm ging es gar nicht um den Gewinn. Jeder Gewinn war für ihn nur der nächste Einsatz, jeder Einsatz der mögliche neue Gewinn. Er schaute auf seinen Schreibtisch, wo in einem schweren Aschenbecher aus Messing eine kleine weiße Kugel lag. Er war wie diese Kugel, die sich – einmal in den Roulettekessel geworfen – auf ewig im Kreis zu drehen schien, bis einer »Rien ne va plus« rief. Irgendwo musste er diesen Teufelskreis durchbrechen. Und heute Morgen, nach einer langen Nacht, hatte er entschieden, dass er im Büro damit beginnen würde. Man musste den Baum des Bösen an der Wurzel vergiften.
    Das Telefon klingelte. Ärgerlich schwang er die Füße vom Tisch und nahm ab.
    »Ich habe doch gesagt …«, raunzte er in den Hörer und hielt kurz inne, um zu verschnaufen.
    »Ich weiß. Aber hier ist ein offenbar wichtiger Herr, der meinte, Sie würden ihn ganz bestimmt sprechen wollen.« Seine Sekretärin senkte die Stimme. »Es ist Mr. Carter Fields aus New York. Er war im Fernsehen, weil man -«
    »Ich weiß, ich weiß!«, unterbrach er seine Mitarbeiterin. »Und er ist hier? Vor meiner Bürotür?«
    »Ja, Dottore.«
    »Sagen Sie ihm, ich empfange ihn gleich!«
    Aurelio legte auf und atmete tief durch. Diese Lotterie raubte ihm bei all seinen Sorgen noch seine letzten Nerven. Es war das älteste Mandat der Kanzlei, die seine Familie seit über dreihundert Jahren in Rom führte. Die Mandatsvereinbarung datierte aus dem August 1764. Er konnte sich nicht daran erinnern, dass sein Vater oder sein Großvater in dieser Angelegenheit jemals aktiv werden mussten. Er erinnerte sich noch an die Faszination, die er empfunden hatte, als er die Notarprüfung bestanden und sein Vater den Tresor geöffnet und die Kassette aus Ebenholz hervorgeholt hatte. Wie er mit der rechten Hand das aus Blattgold gefertigte Wappen auf dem Deckel vorsichtig berührte hatte und die alten Papiere mit den Anweisungen durch seine Finger geglitten waren. Von diesem Zauber war nichts mehr übrig geblieben. Die Gestalten aus der Vergangenheit, die dem Kästchen beim Öffnen wie Geister entschwebten, hatten sich verflüchtigt und waren inzwischen durch ganz reale Personen ersetzt worden, die Trisha Wilson oder Carter Fields hießen und ihn genauso nervten wie seine anderen Mandanten auch.
    Er straffte seine Krawatte, drückte eine widerspenstige Haarsträhne an seine Stirn und benutzte ein Mundspray, das er in seiner Schublade verwahrte. Dann gab er seiner Sekretärin Bescheid, dass er bereit war, Mr. Fields zu empfangen.
    Kurz darauf stand der Amerikaner in seinem Türrahmen. Er wirkte wie der stark geschrumpfte Zwilling des Mannes auf den Fotos, die er in den vergangenen Tagen in den Zeitungen und im Fernsehen von ihm gesehen hatte. Der teure Anzug schien zwei Nummern zu groß. Sein Teint war aschfahl, das Gesicht schmal und spitz. Den kurzen Weg zu einem der Stühle vor Aurelios Schreibtisch legte er stark gebückt mit wackeligen Schritten zurück. Der Notar trat auf ihn zu, gab ihm die Hand und bedeutete ihm, sich hinzusetzen.
    »Haben Sie meine Nachricht nicht erhalten? Ich fürchte, Sie sind zu früh«, sagte Aurelio, während er um den Schreibtisch zu seinem Platz schritt. »Die Ziehung ist erst morgen. Um sechzehn Uhr.«
    Carter saß zusammengesunken in seinem Stuhl, fast schien es, als würde er sich an die Armlehnen klammern, um nicht von der Sitzfläche zu rutschen. »Ich weiß, Dottore. Herzlichen Dank.« Er sprach mit kräftiger Stimme, was so gar nicht zu seiner körperlichen

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