Das Los: Thriller (German Edition)
süße Verwirrtheit und erschrak fast, als sich plötzlich jemand ihm gegenübersetzte. Ein schmaler Mann um die vierzig, vielleicht Südamerikaner, warf ihm ein schüchternes Lächeln zu und streckte ihm die Hand entgegen. Als Carter sie drückte, bemerkte er, dass sie kalt und feucht war.
»Roberto«, sagte sein erstes Date. Der Mann wollte sich offensichtlich nur mit dem Vornamen vorstellen.
Carter schaute über die Schulter seines Gegenübers auf Patricia. Diese hatte mithilfe eines Technikers die große Stoppuhr wieder auf Null gestellt.
»Jetzt aber! Drei, zwei, eins und Start!«, rief sie überdreht ins Mikrofon, und der große Zeiger hinter ihr setzte sich erneut in Bewegung.
Carter blickte wieder auf Roberto.
»Also, Mr. Fields, wenn ich es richtig verstanden habe, habe ich zwei Minuten, um Ihnen mein Projekt vorzustellen, bevor der Nächste kommt …« Er legte eine kleine Pause ein, als erwarte er eine Bestätigung.
Carter nickte ihm zu und setzte sein Standardlächeln auf. Über die Jahre hinweg hatte er es perfektioniert. Es wirkte wie ein Schutzschild und Schlüssel zugleich, hielt Leute auf Distanz, aber hatte ihm auch schon so manche Tür geöffnet. Er beugte sich nun ein wenig vor, und ihm fiel auf, dass der Mann vor ihm nach Schweiß stank.
»Ich komme aus Venezuela und möchte Ihnen kurz unser Illuminations-Projekt näherbringen.«
Dreißig Sekunden bereits verschenkt, dachte Carter und sah sein Gegenüber stumm an.
Nach ein paar Augenblicken fuhr der Mann fort: »Millionen von Menschen leben auf der ganzen Welt in Slums. Ob in Brasilien, auf den Philippinen, in Afrika oder in Indien.«
Carter versuchte, interessiert zu wirken, und zog die Augenbrauen nach oben, als sei er von dieser Mitteilung überrascht.
»Mister, die allermeisten dieser Slumbewohner leben ohne Strom. Und wo kein elektrischer Strom ist, da gibt es auch kein elektrisches Licht.«
Und nun wollt ihr überall Glühbirnen installieren, dachte Carter. Auf was für Ideen die Leute kamen.
»Ohne elektrisches Licht aber können Kinder zum Beispiel keine Hausaufgaben machen. Selbst dort, wo Schulunterricht in den Slums angeboten werden kann, ist es in den dunklen Hütten kaum möglich, das Lesen und Schreiben zu lernen.«
Carter schaute hinüber zur Stoppuhr. Über eine Minute war bereits vergangen. »Und was wollen Sie dagegen tun?«, fragte er mit geheucheltem Interesse.
Sein Gesprächspartner bückte sich und holte eine Plastikwasserflasche hervor, die er zuvor unter dem Tisch versteckt haben musste. Sie war zu etwa einem Viertel mit einer weißlichen Flüssigkeit gefüllt. »Dies ist die Lösung, Sir. Eine handelsübliche PET-Flasche wird mit Bleichmittel befüllt. Dann wird sie mit einem einfachen Widerhaken und ein bisschen Gummi in der Decke der Behausung installiert. Die Decken bestehen meistens nur aus Wellblech. Wenn die Sonne durch die Flasche in die Behausung scheint, bricht das Bleichmittel das Licht in alle Richtungen, und der Flaschenboden wirkt wie eine Glühbirne. Wir versuchen, überall auf der Welt in den Slums Werkstätten aufzubauen, die von den Bewohnern in Eigenregie gemanagt werden. So erzeugen wir neben dem Licht auch noch Einkommen vor Ort.« Roberto schlug eine Mappe auf, die vor ihm lag, und zeigte Fotos. Darauf war die Montage einer solchen PET-Flasche im Dach eines stockdunklen Raumes zu sehen. Auf einem anderen standen Slumbewohner mit nach oben gestrecktem Daumen vor einer Werkstatt.
»Wie hell ist das?«, erkundigte sich Carter, nur um etwas zu fragen.
»Es entspricht etwa der Leistung einer 60-Watt-Glühbirne. Und die PET-Flaschen werden auch noch recycelt. Ein Projekt, das gut zu den Menschen und zur Umwelt ist«, antwortete Roberto nicht ohne Stolz.
Vom Podest her ertönte ein lautes Klingeln.
»Ich fürchte, die zwei Minuten sind vorbei und der Nächste ist dran!«, sagte Carter mit gespieltem Bedauern. Sogleich fügte er höflich hinzu: »Ich gratuliere Ihnen zu Ihrem Projekt und bedanke mich für die Vorstellung!«
Carter griff nach einem Blatt Papier, das neben ihm lag. In mehreren Zeilen waren dort seine heutigen »Speed-Dates« vermerkt. Ganz oben stand »Roberto Salvogni, Licht ins Dunkle, Venezuela«. Ganz rechts war eine Spalte, in der Carter eine Spendensumme eintragen konnte. Er blickte auf Roberto, der sich mit der Wasserflasche unter dem Arm lächelnd erhoben hatte und dabei war, seine Mappe zuzuklappen.
»Ich werde mir eine Spende ernsthaft überlegen«, stellte Carter
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