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Das Los: Thriller (German Edition)

Das Los: Thriller (German Edition)

Titel: Das Los: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tibor Rode
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zeigte auf eine Gruppe aufgeregt diskutierender Männer. »Ich glaube, davon kenne ich einen. Komm, Vijay, wir gehen mal rüber.«
    Beide machten sich schnellen Schrittes davon.
    Pradeep blieb allein zurück. Das Gefühl totaler Leere, das ihn vor wenigen Minuten noch erfasst hatte, war verschwunden. Vielleicht meinte es da oben ja doch jemand gut mit ihm. Zumindest hatte er ihn mit zwei Nieren ausgestattet, obwohl man wohl nur eine benötigte. Er fasste sich gedankenverloren mit beiden Händen in die Seite und knetete die Muskeln, die er unter der Haut fühlte, als wolle er sich vergewissern, ob er auch tatsächlich zwei von diesen Nieren besaß. In seinen Ohren hallten Sushils Worte nach. »Da trägt man jahrelang ein Vermögen mit sich rum und weiß es gar nicht.« Vielleicht wurde doch noch alles gut.
    Er blickte in die Richtung, in die Sushil und dieser Vijay verschwunden waren. Er sah, wie Sushil auf einen Mann einsprach und sein Freund Vijay gerade dabei war, sein T-Shirt zu lupfen.
    Der arme Kerl musste jedem seine Narbe zeigen, dachte Pradeep.
    Ein schwacher Wind war aufgezogen und verhieß eine Abkühlung für den Abend. Während er sich auf den Heimweg machte, kniff er das linke Auge zu und beobachtete mit dem rechten den vorbeifahrenden Verkehr.
    Das funktionierte wunderbar.

24
    B ERLIN , 1763
    Sie wusste nicht, ob es an der wilden Fahrweise des Postillons, den morastigen Wegen auf dem letzten Teil der Strecke oder dem alten Kutschkasten gelegen hatte, aber sie spürte jeden einzelnen Knochen in ihrem Leib. Bei jedem Schritt zog ein stechender Schmerz von ihrem Rücken bis in die Beine, und allein weil das Stehen ihr noch schwerer fiel als das Gehen, war sie ohne Pause von der Postkutschenstation bis hierher gelaufen. Erstmals war sie froh, dass sie kaum mehr besaß als das, was sie am Leibe trug, und ihr Reisegepäck in einen leichten Beutel passte. Nun blickte sie auf den Zettel in ihrer Hand, den Signore Brea ihr in Genua überreicht hatte, und verglich den darauf geschriebenen Namen des Hauses mit dem Schriftzug, der über der Tür vor ihr angebracht war. Er stimmte überein.
    Ihr Blick wanderte ungläubig die Reihe der vor dem Haus wartenden jungen Frauen entlang, deren Anzahl sie auf über einhundert schätzte.
    Ein grobschlächtiges Mädchen, das direkt vor ihr und somit ganz vorn in der Reihe der Wartenden stand, deutete auf das Ende der Schlange und schleuderte ihr wütende Worte auf Deutsch entgegen, die sie nicht verstand. Als sie sich nicht rührte, begannen auch die danebenstehenden Mädchen zu zetern, und eine trat schließlich heraus und gab ihr einen Schubs, woraufhin sie mit ihren wackeligen Beinen beinahe auf die Straße und dort vor ein Fuhrwerk stürzte.
    So blieb ihr nichts anderes übrig, als bis zur nächsten Straßenecke zu gehen und das Ende der Schlange zu bilden. Das Mädchen vor ihr war gekleidet wie eine Bäuerin, und sie schätzte es auf kaum älter als sechzehn.
    »Warum wartet Ihr hier alle?«, fragte sie, und als das Mädchen den Kopf drehte und nur verständnislos die linke Schulter ans Kinn zog, wurde ihr bewusst, dass sie aus Gewohnheit auf Italienisch gefragt hatte.
    »Warum stehen all die Mädchen hier an?«, wiederholte sie ihre Frage, nun in französischen Worten. Doch abermals lächelte das Mädchen nur verlegen, deutete diesmal auf ihre Ohren und drehte sich weg von ihr, als gehe von ihr irgendeine Gefahr aus.
    Die überschwängliche Freude, die sie empfunden hatte, als Signore Brea Wort gehalten und sie bei Signora Pellegreni ausgelöst hatte, war auf der dreiwöchigen Reise von Genua ins ferne Berlin mit jeder zurückgelegten Meile wachsender Angst gewichen. Sie hatte in Frankreich gelebt und in Italien überlebt, doch sie hatte in beiden Ländern die Sprache der Menschen dort gesprochen. Das war hier in Preußen anders, und die erste Stunde in dieser Stadt schien ihre schlimmsten Befürchtungen zu bestätigen. Große Sorge bereitete ihr der Andrang dieser vielen Frauen. Vielleicht hatte ihre Reise ja zu lange gedauert, und man hatte die Anstellung, wegen der sie gekommen war, nun erneut ausgeschrieben. Sie wusste nicht, was sie ohne die versprochene Stelle anfangen sollte. Das Geld für die Reise, das Signore Brea ihr gegeben hatte, war nahezu aufgebraucht. Sie hatte keine Mittel und kannte hier niemanden. Angst breitete sich in ihrer Brust aus. Ihr Mund fühlte sich trocken an, seit dem frühen Morgen hatte sie nichts mehr getrunken. Das Stehen betäubte ihre

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