Das Los: Thriller (German Edition)
Flush gewinnen. Dasselbe galt, wenn er eine Dame in der Hinterhand hielt, von der sie nichts wusste. Dann schlugen seine Damen ihren Dreier-Drilling. Er hatte alle Chips gesetzt. Da sie mehr hatte als er, bedeutete dies, dass er keine Chips mehr haben würde, wenn sie nun mitging und diese Runde für sich entschied. Sie hätte dann gewonnen. Nervös wanderte ihr Blick von ihren Chips zu den Karten, dann zum Croupier und wieder zu Chad.
»Ich lege mein Schicksal in deine Hände«, sagte Chad mit einschmeichelndem Tonfall. »Trish!« Nun klang es so, als würde er gleich weinen.
Sie vermied es, ihn anzuschauen. Sie schloss die Augen. Karten zogen an ihr vorbei. Dann tauchte Chads Gesicht auf, allerdings wie ein Negativ. Sie hatte ihn zu lange angeschaut. Trish kniff die Augen fester zusammen, damit die Bilder verschwanden. Sie spürte etwas Heißes an ihrer Brust, wie die Hitze eines Wärmepflasters. Unvermittelt fasste sie sich ans Dekolleté und bekam den Glücksbringer zu fassen, den ihre Eltern ihr geschenkt hatten. Er schien zu glühen. Sie schlug die Augen auf und betrachtete ungläubig ihre Hand, als hätte sie darin einen Abdruck, ein Brandzeichen in Engelform erwartet. Dann erhob sie sich und nickte dem Croupier entschlossen zu. »Ich gehe mit!«, sagte sie und warf ihre beiden Dreien offen auf den grünen Filz vor sich.
»Du setzt ja doch noch auf Pärchen«, entfuhr es Chad eher hoffnungsvoll als triumphierend. Dann drehte er seine Karten um und stand auf. Herz-Ass und ein Kreuz-König. »Und du siehst, ich bluffe nicht. Ich setze auf Herz«, ergänzte er.
Chad sah sie erwartungsvoll an. Für eine kurze Sekunde fühlte sie sich zu ihm hingezogen, dann senkte sie den Kopf und forderte den Croupier mit einer Handbewegung auf, die letzte Karte zu zeigen.
Jede Herz-Karte würde Chads Sieg bedeuten, sie hatte dann nur noch ein paar Chips übrig. Jede andere Karte würde sie in die nächste Runde einziehen lassen.
Wie in Zeitlupe nahm der Angestellte des Kasinos eine Karte und drehte sie um.
Es war vorbei.
23
M UMBAI
Die vielen Jahre auf der Straße hatten Pradeep das Gefühl von Angst fast vergessen lassen. Man brauchte etwas, das man liebte und unter keinen Umständen verlieren wollte, um Angst zu empfinden. Und als eine der Ratten, wie viele Leute die Straßenkinder nannten, hatte er nicht einmal sein eigenes Leben geliebt.
Erst als er Janni geheiratet und sie ihm die Kinder geboren hatte, war mit der Liebe auch die Angst in sein Herz zurückgekehrt.
Darüber dachte Pradeep nach, während er über die Swami Vivekanand Road in Richtung Bandra lief. Es war Ende Mai, die mit Abstand heißeste Zeit des Jahres. Obwohl er es am Hochofen mit jeder Hitze aufnahm, fiel das Gehen ihm heute schwer. Als würde er mit seinen Hawai Chappals , deren Schlaufen in seine großen Zehen schnitten, bei jedem Schritt in geschmolzenem Asphalt stecken bleiben. Sehr viel schlimmer war jedoch die Angst, die seit dem frühen Morgen an ihm hochgekrochen war und mittlerweile seine Eingeweide, seine Lunge, sein Herz und auch seine Kehle wie ein eng gezogenes Seil fest einschnürte.
Nur einen einzigen Tag hatte man Pandita im Krankenhaus behandelt, gerade lang genug, um sie dem Leben wieder näher zu bringen als dem Tod. Am zweiten Tag war eine Angestellte der Verwaltung mit einem großen Namensschild über dem dicken Busen auf ihn zugekommen und hatte eine Bezahlung für die weitere Behandlung verlangt. Mit Tränen in den Augen hatte Janni ihn angeschaut, und er wusste, dass sie eigentlich nicht ihn ansah, sondern in die leere Kaffeedose blickte. Sogar das Nachthemd hatten sie Pandita im Krankenhaus wieder weggenommen, und nun lag sie erneut zu Hause in ihrer Hütte in Dharavi. Die ganze Nacht hatte er wachgelegen und auf ihren Atem gelauscht. Und gebetet. Seine Familie gehörte zu den wenigen Christen in Dharavi. Er hatte Jesus Christus angefleht, dass sein Los bei der heutigen Ziehung der MHADA-Lotterie nicht gezogen wird. Wenn er zu den Gewinnern gehörte, würde die MHADA das von ihm hinterlegte Geld behalten und ihm dafür eine Wohnung zuteilen. Er wäre stolzer Besitzer einer Wohnung, hätte aber kein Geld, um Panditas Behandlung zu bezahlen. Er durfte die gewonnene Wohnung ja nicht verkaufen.
Er musste bei der Verlosung heute unbedingt verlieren. Dann würde die MHADA die fünfzehntausendfünfzig Rupien auf sein neu eröffnetes Konto zurückzahlen, und sie konnten Pandita behandeln lassen, wenn es dann noch nicht zu
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