Das Los: Thriller (German Edition)
Beine.
Plötzlich begann das Mädchen vor ihr zu tanzen. Erst langsam im Takt ihres Herzschlages, dann immer schneller. Die Straßenlaterne neben ihr gesellte sich dazu, und als selbst das große Haus einen fröhlichen Satz nach vorn machte, wurde es mit einem Mal dunkle Nacht.
Das Erste, was sie sah, als sie wieder erwachte, war ein Paar gütiger Augen, die zu einem über sie gebeugten Mann gehörten.
»Wo bin ich?«, fragte sie benommen.
»Du sprichst Italienisch?«, antwortete der Mann überrascht.
Der warme Klang seiner Stimme, mehr aber noch die italienischen Wörter lösten in ihr ein Gefühl der Sicherheit aus. Vorsichtig blickte sie sich um. Sie lag auf einem Sessel mit langer Sitzfläche, unter ihren Nacken hatte jemand ein weiches Kissen geschoben. Farben und Formen der Möbel um sie herum ließen auf einen herrschaftlichen Haushalt schließen.
Jetzt erst bemerkte sie, dass die Hand des Mannes auf ihrem Bauch ruhte und eine wohlige Wärme übertrug.
Schon glaubte sie, wieder in Italien zu sein und dass die Reise nach Berlin nur ein böser Traum gewesen war, als sie jemanden im hinteren Teil des Raumes, den sie nicht einsehen konnte, etwas in dieser harten, abgehackten deutschen Sprache sagen hörte.
Der Mann, der neben ihr auf dem Sessel saß, antwortete etwas auf Französisch, was eine weitere Wohltat für ihre Ohren war.
»Sag ihnen, wer sich nicht benimmt, wird nach Hause geschickt!«, verstand sie.
»Was ist passiert?«, fragte sie.
»Und du sprichst auch noch Französisch?«, stellte der Mann nun noch verblüffter fest. Sie mochte sein Lächeln.
»Hier, trink das«, sagte er, nun wieder auf Italienisch, was seine Muttersprache zu sein schien, und reichte ihr ein Glas mit Wasser.
Sie stützte sich auf ihre Ellbogen und trank gierig, wobei sie etwas Wasser auf ihr Kleid verschüttete.
Der Mann lachte. »Nicht so hastig!«, sagte er. »Die anderen Mädchen glauben, dass du nur simuliert hast, um als Erste dranzukommen.«
Sie reichte ihm das Glas und schüttelte den Kopf, was sie wegen eines Schmerzes in der Stirn sogleich einstellte.
»Ich war nur etwas erschöpft«, sagte sie und richtete sich nun auf. Jetzt erst sah sie einen weiteren Mann, der in einer Uniform gekleidet neben der Tür stand. Plötzlich spürte sie wegen ihrer Ohnmacht eine Peinlichkeit, die ihr das Blut in die Wangen presste.
Der Italiener erhob sich von ihrer Seite und ging zu einem kleinen Schreibtisch in der Mitte des Raumes. Dann setzte er sich und betrachtete sie eine Weile, was ihre Verlegenheit noch steigerte.
»So blass wie du warst, als mein Diener Philip dich hereingetragen hat, glaube ich nicht, dass es eine List von dir gewesen ist«, bemerkte er schließlich. »Und wenn du schon einmal hier bist, so erlaube ich dir, dich als Erste einzutragen. Vielleicht verdankst du deiner schwachen Konstitution so am Ende noch fünfzig Taler!« Bei den letzten Worten griff er schmunzelnd zur Feder und setzte zum Schreiben an. »Ich benötige dann deinen Namen, deine Herkunft und die Adresse, wo du, wenn das Glück dich auswählt, zu erreichen bist. Auch solltest du mir deine Glückszahl zwischen Eins und Neunzig sagen. Benennen jedoch mehrere Mädchen dieselbe Zahl, entscheidet das Los!«
Es schien wie befürchtet. Entweder hatte Signore Brea sie gehörig reingelegt, oder man hatte wegen ihrer langen Anreise tatsächlich die Geduld verloren und die Stelle der Kammerdienerin neu ausgeschrieben.
»Ich dachte, der Platz sei mir sicher!«, entfuhr es ihr. »Schon wegen der langen Fahrt …«, fügte sie enttäuscht hinzu.
Der stattliche Herr am Pult schaute sie erstaunt an. Nun, wo sie ihn erstmals genauer betrachten konnte, erkannte sie auch die stolzen Gesichtszüge eines Italieners.
»Aber nein, wie kommst du auf so etwas!«, entfuhr es ihm. »So wurde es niemals kundgetan. Wenn sich mehr als neunzig Mädchen bewerben, wird das Los entscheiden, welche fünf am Ende berücksichtigt werden können.«
»Fünf?«, fragte sie. Niemals zuvor hatte sie von einem Haus gehört, in dem gleich fünf Kammerdienerposten auf einmal zu besetzen waren.
»Aber ja. Fünf Zahlen werden bei der großen Verlosung gezogen, und bei jeder Zahl steht auf der Rückseite der Name einer glücklichen Jungfer, die dafür die fünfzig Taler erhalten soll …«
»Hätte ich dies gewusst, wäre ich den weiten Weg aus Italien nicht hier heraufgekommen«, entgegnete sie geknickt.
»Aus Italien kommst du, nur wegen der Verlosung?«, entgegnete der
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