Das Los: Thriller (German Edition)
Gewinne die Summe der Einsätze niemals überschreiten können. So bändige ich die Laune der Fortuna, und für den König bleibt nach der Ziehung immer etwas übrig. Lediglich die Lottoscheine aus den entferntesten Kontoren kann ich nicht korrigieren, da diese wegen der langsamen Postwege oftmals erst nach der Ziehung eintreffen. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass sich darin eine Terne oder gar eine Quaterne befindet, ist verschwindend gering!«
Hatte er auf Maries Bewunderung gehofft, so wurde er enttäuscht. Sie schien von seiner kleinen Vorführung eher irritiert zu sein.
Vom Kamin her war das Geräusch sich entzündender Holzscheite zu vernehmen. Mittlerweile hatte der Jüngling sich mit dem Horn am Mund unter dem Fenster postiert, in das Marie die brennende Kerze abgestellt hatte. Plötzlich zischte es laut, gefolgt von einem Hustenanfall des Burschen am Kamin. Gelber Qualm waberte durch das Büro, und ein stechender Geruch breitete sich aus.
Von draußen erhob sich ein lautes Raunen. »Seht, gelber Rauch steigt aus dem Schornstein!«, schallte es von der Straße herauf. Im nächsten Augenblick wurden die Rufe und das Murmeln auf der Straße von den dumpfen Geräuschen des Ochsenhorns übertönt, die durch das geöffnete Fenster nach draußen drangen.
Calzabigi ließ sich zufrieden auf der Platte seines Schreibtisches nieder und schob sich ein Gebäckstück in den Mund. Erneut ertönte ein Hornstoß.
»Und was sollen die Kerze und das Horn und das hier alles?« Marie deutete auf den Kamin, wo der Bursche noch immer hustend kleine gelbe Pulverklumpen ins Feuer warf.
»Das habe ich von den Pferden des Kürassierregiments gelernt!«, erklärte er. Seine Beine baumelten von der Kante des Schreibtisches herunter, während er in die nächste Gollatsche biss.
»Pferde?« Marie seufzte. Man sah ihr an, dass sie ihren Gemahl nun vollends für geisteskrank hielt.
»Ja. Tatsächlich sind die Tiere des Kürassierregiments ganz normale Gäule! Nur der ganze Schmuck und das Gehänge und ihr Ruf machen aus ihnen preußische Zentauren. Und dasselbe mache ich mit meinem Castelleto. Eigentlich ist es langweilige Mathematik. Schlimmer noch. Es ist eine elendige Erbsenzählerei. Vielleicht sogar ein wenig ungerecht. Wie dem auch sei … Ich habe mir einiges einfallen lassen, um dem Castelleto eine besondere Aura zu geben. Am Morgen habe ich Charles in die Stadt geschickt und mit ihm gewettet, dass er es nicht schafft, einhundert Neugierige hierherzulocken, damit sie dem Castelleto beiwohnen. Nun ist noch viel mehr Volk hier – und staunt. Wir haben aus dem Castelleto etwas Magisches gemacht. Der gelbe Rauch. Das Horn. Die Lottospieler werden glauben, dass wir hier drin geheimnisvollste Alchemie betreiben!«
In Maries Gesicht sah er die Skepsis der Bewunderung weichen.
»Und die Kerze?«, fragte sie.
»Oh, das ist das Zeichen für Louis, der auf der anderen Seite der Straße darauf gewartet hat. Er hat allerlei Kessel und Gerätschaften besorgt, die er nun gerade unten anliefert. Mitten durch all den Pöbel hindurch trägt er das Inventar einer ganzen Alchemistenküche in das Lotterieamt. Die Menschen werden denken, dass hier Zauberer am Werke sind. Und glaube mir, sie werden darauf noch mehr Lose kaufen.«
Marie nickte anerkennend.
Calzabigi sah zum Kamin, wo der Bursche sich unter Hustenkrämpfen krümmte, und rief: »Das genügt! Ich habe doch gesagt, atme es nicht ein. Geh jetzt lieber runter und hilf bei der Annahme der Lieferung!«
Dankbar verließ der Bursche seinen Posten am Kamin. Immer noch blies der Gehilfe vor dem Fenster in regelmäßigen Abständen das Horn.
Calzabigi erhob sich und hielt Marie die Schüssel entgegen. »Na schön. Nimm auch ein Stück Gebäck. Es ist köstlich. Vor allem die Füllung. Corinthen!«
Marie schüttelte den Kopf und streckte abwehrend ihre Hand aus.
Calzabigi stellte die Schale mit einem Achselzucken neben sich ab. »Dann wird es Zeit für ein wenig Feuerwerk«, sagte er grinsend und griff nach einem länglichen Beutel, der aus dem Korb ragte.
Auf einmal schrie Marie vor Schreck auf und sprang zur Seite, als jemand durch die offene Tür an ihr vorbei ins Büro stürmte.
»Was führt Ihr hier für einen Unsinn auf?«, schrie der Mann wie von Sinnen und blieb unweit des Kamins stehen, aus dem immer noch ein gelber Schleier kroch.
»Hainchelin! Schön, dass Ihr Euch zu uns gesellt«, begrüßte ihn Calzabigi mit gespielter Freude und hob den Beutel in die Höhe. »Gerade
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