Das Los: Thriller (German Edition)
Hunger!«, quengelte sie nun.
»Bestell dir was«, entgegnete er genervt.
Carter wandte sich derweil zu der Stuhllehne neben ihm. Darüber hing seine Hose, die er vor dem Liebesspiel achtlos dorthin geworfen hatte. Er wühlte in den Taschen, bis er das Handy fand. Am Morgen hatte er es in seinem Briefkasten gefunden. Wieder ein billiges Prepaid-Handy, wie Gonzales sie ihm schickte. Kurz darauf war die SMS-Nachricht bei ihm eingegangen:
Rio Hotel-Kasino, Las Vegas. Pater Pius. Zimmer 616. Was nun?
Wieder trat Carter ans Fenster. Nicht weit entfernt erhob sich zur Linken ein Gebäude, das etwas höher als ihr Hotel war. Die rote und blaue Beleuchtung schrieb ein großes »T« in die nächtliche Kulisse von Las Vegas. Darüber prangte der Schriftzug »Rio«.
Dort wohnte also dieser Lottomönch mit seinem jahrhundertealten Preis von unermesslichem Wert. Carter hatte gerechnet. Hätte man im 18. Jahrhundert eine Summe von nur hunderttausend Dollar mit einem Zinssatz von fünf Prozent angelegt – das Vermögen würde nach seinen Berechnungen heute weit über eine Milliarde Dollar betragen. Konnte es sein, dass dieser Mönch, der keine halbe Meile entfernt in einem Hotel residierte, das aussah wie ein halbiertes Kreuz, ihm solch eine Summe in Aussicht gestellt hatte? Es war, als habe jemand ihm, der auf hoher See trieb, einen Rettungsring zugeworfen. Nur schwamm er nicht allein. Von vier Teilnehmern hatte der Mönch gesprochen. Falls die Lotterie stattfand. Noch, so hatte der Mönch ihm bei seinem Besuch erklärt, hätten nicht alle Losberechtigten eingewilligt. Erst wenn dies der Fall sei, würde die Ziehung endlich stattfinden. Anderenfalls musste man warten, bis deren legitime Erben eine Entscheidung getroffen hätten. Er hatte die Spielregeln nicht ganz verstanden, aber das machte nichts. Er war es gewohnt, seine eigenen Spielregeln zu machen. Seine Chancen in dieser Lotterie standen zumindest eins zu vier, wenn alle mitspielten. Er war niemand, der sein Schicksal dem Glück überließ. Insofern waren Luna und er sich durchaus ähnlich. Auch er war kein Spieler.
»Mörder!«
Luna riss ihn mit ihrem Ausruf aus seinen Gedanken. Irritiert schaute er zu ihr herüber und versuchte zu verstehen, warum er sich merkwürdig ertappt fühlte. Sie saß nun ans Kopfteil des Bettes gelehnt und gab den Blick frei auf ihren wunderbaren Körper, ihre Scham allerdings wurde durch eine Speisekarte verdeckt.
»Alles Mörder in der Küche. Nur totes Fleisch. Steak, Burger, Carpaccio, Club-Sandwich. Ich finde nichts Vegetarisches!«
Carter deutete mit dem Kopf aufs Telefon. »Ruf in der Küche an und sag denen, was du haben willst. Wie oft soll ich dir noch sagen, dass die Speisekarte für uns nicht gilt!« Er trank den Whiskey aus und stellte das Glas auf dem Fenstersims ab.
Dann machte er einen großen Schritt aufs Bett zu und entledigte sich dabei seiner Shorts. »Vorher habe ich aber noch ein wenig Lust auf Fleisch!«
Luna riss die Speisekarte wie ein Schutzschild hoch und quiekte vergnügt, als er sich auf sie stürzte.
29
L AS V EGAS
Es gehörte zu Trishas Beruf, Augenpaare zu studieren. Nicht selten waren sie der einzige Zugang zu ihren Mitspielern am Pokertisch. Verräterische kleine Monitore der Seele. Bis heute Abend – oder besser, heute Nacht – hatte sie geglaubt, sämtliche Facetten des menschlichen Blicks kennen und deuten zu können. Doch nun verlor sie sich zum wiederholten Mal in den so vertrauensvoll wirkenden Augen des kleinen Mannes vor ihr, ohne sich dagegen wehren zu können.
So bemerkte sie nicht, wie sich am Nachbartisch ein Mann erhob und langsam zu ihr wandte. Für einen kurzen Moment blieb er unschlüssig stehen und betrachtete ihren Rücken, dann trat er entschlossen an ihren Tisch und schwang sich auf den freien Stuhl neben ihr.
»Was …«, entfuhr es Trisha.
»Meinen Glückwunsch«, sagte Chad. »Du hast gut gespielt, hab es im Fernsehen geschaut.« Er wandte sich zu dem Mönch um und hielt ihm die Hand entgegen. »Chad Harris, mein Name. Und Sie sind … Priester?«
Ohne jede Scheu drückte der Mönch Chads Hand. Dabei hielt er sie einen Moment länger fest als nötig. Wie ein Gedankenleser, durchfuhr es Trisha.
»Mein Name ist Pater Pius. Ich bin kein Priester, sondern ein einfacher Mönch.«
Chad hob belustigt die Augenbrauen.
»Was willst du hier? Verschwinde!«, zischte Trisha ihn an und warf die Serviette, die noch auf ihrem Schoß gelegen hatte, erbost auf den Tisch vor
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