Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
operiert und nicht ordentlich nachversorgt, stattdessen diagnostiziert man alles Mögliche, lässt aber das, was man selbst gerade angerichtet hat, unter den Tisch fallen? Beruf verfehlt, würde ich sagen. Wenn unsereins auf der Bühne schlecht ist, bekommt er das sofort zu spüren, es hagelt Buhrufe. Und da geht es nicht um Leben und Tod…
In der Folge lernten wir die Mühlen der Justiz und die Hintertürchen der Ärztekammer kennen. Zwar war auch der Gutachter entsetzt, was da geschehen war, aber die Ärzte hatten ihre Versicherungen und schützten sich gegenseitig.
Ich will es kurz machen: Der schuldige Arzt wurde dazu verurteilt, 20.000 DM an einen gemeinnützigen Verein zu spenden. Mein Vater bekam nichts, das Verfahren wurde eingestellt. Es war eine bittere Erfahrung, wie wenig ein Menschenleben zählt. Die Gerichte haben kein Interesse, solche Verfahren langwierig auszuweiten. Die Summe wurde durch eine Versicherung beglichen, ob es weitere – interne – Konsequenzen gab, weiß ich nicht.
Was lehrt uns das? Zweimal hinschauen, unterschiedliche Meinungen einholen und nicht dem ersten Arzt trauen. Es gibt auch gute.
Solange aber die berufsständischen Organisationen die Fehler ihrer Versager so blind schützen wie hier geschehen, verunglimpfen sie damit auch die Arbeit der guten Ärzte.
Ich brauchte lange, die Trauer zu verarbeiten, sogar heute noch tut es manchmal weh.
Besonders schlimm ist es, wenn ein Mensch ohne Abschied geht.
Der Boden schwankt
Das Jahr 1992 war geprägt von einem Wechselbad der Gefühle. Ich schwankte zwischen der Trauer über den Tod meiner Mutter und der Freude über meinen wachsenden beruflichen Erfolg. Der half mir zwar auf den ersten Blick, diese Zeit leichter zu überstehen. Allerdings dauert die Phase der Trauer umso länger, je größer die Ablenkungsmöglichkeiten sind. Es ist einfach so, man muss Trauer durchleben, da hilft keine Flucht, auch wenn man sich das gerne einreden möchte.
Es kostete mich Kraft, diesen Spagat zu bewältigen. Zu Hause konnte ich meinen Emotionen freien Lauf lassen, nach außen hin musste ich strahlen. Denn kurz nach dem Tod meiner Mutter wurde das Album Was ist dabei veröffentlicht. Die erste Promotionauskopplung war der Popsong »Sehnsucht«. Das Lied passte, es marschierte los, ich war in den Charts – und kam unverhofft zu einer wichtigen Ehrung der Branche.
Eines Tages rief Dieter Hägermann an, mein A&R von Polydor, und gratulierte mir zu einer Echo-Nominierung. Das sei ja wunderbar, dass sozusagen gleich unser erstes gemeinsames Projekt einen solchen Erfolg einfahren würde und bla, bla, bla. Leise fügte er hinzu: »Du bist übrigens in der Kategorie ›Volkstümlicher Schlager‹ nominiert.« Dieter kannte meine Einstellung zum deutschen Schlager.
Ich fiel aus allen Wolken. War die zuständige Jury eigentlich von allen guten Geistern verlassen? Für diese Pfeifen gehörte offenbar alles, was in deutscher Sprache gesungen wurde, in die Kategorie Schlager, egal wie ein Song arrangiert und interpretiert wurde. Diese Haltung machte mich wahnsinnig, ich hatte mich immer schon gegen sie gewehrt.
Schlagartig sah ich die ganze Misere wieder vor mir: Schlechte Kulturpolitik macht es den nationalen Künstlern ohnehin schon schwer. Um Erfolg zu haben, müssen sie sich anpassen, den Vorgaben unterordnen, das Niveau eher senken. Wie viele Musiker kenne ich aus meinem Umfeld, deren Begabung permanent unterfodert wird. Sich austoben und zeigen, was in ihnen steckt, das dürfen sie fast nie. Wie viele tolle Musiker üben sich nur selten in ihrer Klasse aus, in kleinen Klubs oder im Ausland, mit anderen internationalen, hervorragenden Kollegen? Zur Sicherung ihrer Existenz müssen sie zu oft unter ihrem Niveau arbeiten.
Und nun? Dieser Echo – war der nun ein Gradmesser für Qualität? Oder nur dafür, dass unfähige Kulturbeauftragte mich erfolgreich eingetütet hatten? Ich streikte. Sollten sie doch ihren Scheiß allein machen, ich würde die Auszeichnung ablehnen. Polydor war nicht erfreut, aber man akzeptierte meine Entscheidung. Ich habe mir die Verleihung nicht einmal im Fernsehen angesehen. Angelika Milster und Claudia Jung waren mit nominiert. Wer den ersten Preis gewann, weiß ich bis heute nicht.
Dem Verkauf der CD tat meine Entscheidung keinen Abbruch. Wir hatten regelmäßig Liveauftritte, das Publikum stand hinter uns, vor allem wenn wir »Es war ein Land« spielten. Das Lied berührte alle, egal wo wir auftraten:
Es war ein
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