Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
menschlicher Gefühle. Der schöne Text dazu stammte von Erwin Berner, einem hervorragenden Lyriker, den Gisela mir empfohlen hatte. Er schrieb auch »Komm zu mir«.
Die musikalische Umsetzung der Lieder sollte sparsam sein, wir setzten auf akustische Instrumente, unplugged sozusagen. Aber nicht jeder Bassist spielt auch Kontrabass, weshalb sich meine Band veränderte – es kamen wieder Jazzer mit ins Boot. Es war genau die richtige Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt. Denn zum Älterwerden gehört für mich, dass ich meine Bühnenausstrahlung anpassen muss. Ich wollte grundsätzlich mehr Lieder und Chansons singen und nicht zu einer alternden Rocklady in Leder geraten, die ich ja auch jünger so nie gewesen war. Musik ist fließend, sie braucht keine Schublade.
Die entsprechende Begleitung für mein Vorhaben war gefunden: Musiker, die alles spielen können. Den festen Kern bildeten Andreas Bicking, Peter Inagawa, Heiko Jung und Udo Weidemüller, gelegentlich kam auch André Gensicke dazu. Bis heute arbeiten wir weitgehend in dieser Besetzung. Als sich Andreas Bicking verstärkt der Filmmusik zuwandte, kam für ihn Andreas Gundlach.
Ich ging die Texte für die neue CD durch, da packte mich einer so sehr, dass ich ihn Benjamin vorlas:
Ein Winter ist mir widerfahrn
Trat eher ein als je
In all gelebten frühern Jahrn
Und keiner tat so weh
Der Adern warme rote Spur
Macht Eiswind steinern alt
Ich dachte das am Anfang nur
Dann ließ mich Kälte kalt
Wie immer nun ein Frühling wird
Ich kenn das Jahr nun ganz
Mein Herz verwirrt, in dir geirrt
Es war mein schönster Tanz
Das hast du nun an mir getan
Nach wildestem Begehrn
Als deine Augen Winter sahn
War Zeit sich abzukehrn
Ein Winter ist mir widerfahrn
den hätt ich nie geglaubt
Und dachte doch, ich kenn Gefahrn
Sah Bäume früh entlaubt
Wie immer nun ein Frühling wird
Ich kenn das Jahr nun ganz
Mein Herz verwirrt, in dir geirrt
Es war mein schönster Tanz 14
Benjamin begriff sofort, dass mir Gisela und Franz (er komponierte die Melodie dazu) dieses Lied auf den Leib geschrieben hatten: Abschied von der Jugend, von einer Liebe und einem Mann, der mit dem »Winter« einer Frau Probleme hat. Es ist mein Lied – und das vieler Frauen, die in die Jahre kommen, deren Männer sich Jüngeren zuwenden. Und dabei übersehen, dass sie neben diesen jüngeren Frauen erst richtig alt aussehen und nur irrtümlich glauben, deren Jugend färbe auf sie ab. Eine schöne Illusion. Wohlgemerkt, ich trauere meinem Ex nicht nach, vielleicht aber einigen vertanen Jahren.
Auch wenn die CD Dünnes Eis bis heute zu meinen Lieblingen gehört, wusste ich, dass dieses Konzeptalbum für die Medien keine leichte Kost sein würde. Sie waren befremdet, solche Texte von mir interpretiert zu bekommen. Nur das »Lied vom Schnee« wurde hin und wieder gespielt, wir freuten uns darüber, aber das war es dann auch schon. Ein Redakteur sagte unverblümt zu mir: »Das können wir nicht einsetzen, du machst ja jetzt Jazz und Hochkultur.« Wie bitte, Hochkultur? Jazz? Ich antwortete, dass ich Lieder singe, auf klassische Art, wie es sein sollte, angejazzt vielleicht, aber dennoch in der Aussage schlicht und klar. Hochkultur ist etwas anderes für mich, Bach und Beethoven. Vielleicht machte ich jetzt wirklich ernstere Unterhaltung? Wobei: Darf Unterhaltung überhaupt ernst sein? Tja, da haben wir den Salat. Hilfe, man reiche mir eine Schublade! Alles muss dem gängigen Geschmack unterworfen sein, bloß keine anderen Wege beschreiten bitte.
Wir jedenfalls waren sehr zufrieden mit unserem Album und ließen uns nicht beirren. SPV, den Partner bei dieser Produktion, hatte uns die junge Agentur vermittelt. Das war erfreulich. An die Veröffentlichung schloss sich auch eine höchst erfolgreiche Tournee an. Noch heute werde ich auf ein Konzert in Zittau angesprochen, das wir 2004 mit dem Repertoire von Dünnes Eis gegeben haben. Was will man mehr? Natürlich hätten uns CD-Verkäufe in größerem Umfang gutgetan. Ich hätte diesen Stil liebend gern fortgesetzt und ausgebaut. Doch das war aus finanzieller Hinsicht und wegen der mangelnden Unterstützung der Medien nicht möglich. Leider, aber so sind die Fakten. Man könnte auch Abhängigkeiten dazu sagen. Die Medien machen das Publikum auf etwas aufmerksam, die Hörer springen darauf an, und so kommt das Geld in die Kasse, um all die Vorleistungen bezahlen zu können, aller guten Beteiligten. Funktioniert diese Kette nicht, kippt das ganze
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