Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Rücksichtnahme oder irgendeine andere Lösung. Es gab aber keine, Bühnenbild und Außenwirkung waren wichtiger und nicht mehr zu verändern. Ich musste mich fügen und erhöhte zähneknirschend die Kortisonmenge. Eigentlich hätte ich in diesem Moment aussteigen müssen, meiner Gesundheit zuliebe. Meine Ärztin wollte das auch, aber ich hatte einen Vertrag unterschrieben, da half alles nichts.
In meinem Gesicht waren die Spuren des Kortisons deutlich zu erkennen. Die Frau in ihrem Barockkleid hatte nun auch noch das klassische Cushing-Syndrom, mit anderen Worten: ein fettes Gesicht. Das war schon ärgerlich genug, doch die eigentliche Quittung bekam ich erst nach Ende der Revue.
Meine Ärztin hatte mir das »Ausschleichen« aus der Kortisonbehandlung nicht richtig erklärt, oder ich hatte sie falsch verstanden. Ich setzte es nach dem Ende des Marathons viel zu schnell ab – was mir schlecht bekam. Abgesehen von den Spuren, die das Medikament in meinem Gesicht hinterlassen hatte, verabschiedete sich nun auch noch meine linke Nebenniere. Das war der Preis. Lange ging es mir nicht gut, erst mein neuer Arzt versorgte mich endlich richtig, die Nebenniere begann wieder zu arbeiten, zum Glück, sonst hätte ich jede Woche eine Spritze bekommen müssen. Das Gesicht brauchte Jahre, um wieder normal auszusehen.
Im Nachhinein ist man immer schlauer; heute weiß ich, dass ich früher die Reißleine hätte ziehen sollen. Andererseits: Die Revue hat mir bei allen Problemen sehr viel Spaß gemacht. Und mit etwas mehr Flexibilität seitens der Verantwortlichen wäre mir und auch den Kollegen schon geholfen gewesen. Schade.
Geblieben ist mir der Moment vor meinem Auftritt mit der »Schneeflocke«, nach dem »Paladio I. Allegretto« von Karl Jenkins mit einem tollen Ballett, eine Stelle, an der ich immer, wenn ich sie im Radio höre, beim Zähneputzen etwa, den Ruf des Inspizienten im Ohr habe: »Raus. Dein Auftritt, raus!«
Die Dinge ändern sich
Es war eine Idee, die mich schon lange umtrieb – einmal aus dem Popbereich auszubrechen und mich dem Lied im klassischen Sinn zu widmen.
In den Achtzigern, als ich mit Gerulf Pannach und Christian Kunert kurzzeitig für den WDR arbeitete, hatte ich schon einmal ein Lied aufgenommen, das allerdings nie veröffentlicht wurde. »Es ist ein Schnee gefallen«, ein Text aus dem Dreißigjährigen Krieg, den Christian oder Kuno, wie er bei den Musikern genannt wurde, vertont hatte.
Es ist ein Schnee gefallen
und ist doch noch nicht Zeit
Man wirft mich mit dem Ballen
Mein Weg ist mir verschneit
Und am Schluss:
Ach Lieb lass dich erbarm’n
Dass ich so elend bin
Und schließ mich in dein Armen
So fährt der Winter hin 13
Dieses Lied mit Kunos schöner Melodie hatte mich all die Jahre begleitet, irgendwann wollte ich es unbedingt unter die Menschen bringen. 2003 war der Zeitpunkt gekommen.
Die Idee zu einer Lieder-CD kam nicht von ungefähr; ich wusste, dass das vielseitige Talent Andreas Bicking mich hierbei unterstützen konnte. Andreas hat Musik studiert und ist in erster Linie Jazzer, der seit vielen Jahren sein Geld mit Pop verdient. Als klassischer Klarinettist, später auch Saxofonist und Pianist verstand er mich stilistisch und ästhetisch. Er übernahm die Produktion und komponierte, was uns an Stücken noch fehlte; Lieder wie »Vorm Winter«, »Der Winter war kalt« oder »Dünnes Eis«. So wie der letzte Song sollte das Album auch heißen, eine winterliche Konzept-CD. Wir waren uns im Klaren darüber, dass der Markt so etwas eigentlich kaum zulässt – ein solches Produkt lässt sich schließlich nur in einer Jahreszeit verkaufen. Es war purer Luxus, sich so etwas zu leisten. Trotzdem waren wir überzeugt.
Ich hatte gerade einige konzertante Lesungen mit Gisela gemacht, musikalisch begleitet von Franz Bartzsch und dem Gitarristen Bodo Kommnick, und die Gelegenheit beim Schopf gepackt und ihnen von meinem Vorhaben erzählt. Bei Gisela wusste ich, dass es ihren Nerv treffen würde, und auch Franz schrieb drei wunderbare Kompositionen, etwa die Melodie zu »Lied vom Schnee«. Er sang es mir laut am Telefon vor wie in unseren Anfangsjahren, ich sollte gleich meine Meinung äußern. Es war ein besonderes Stück, wie früher. Das »Lied vom Schnee« wurde schließlich als Single ausgekoppelt, es begleitet mich bis heute. Schade, dass Franz sein Talent nicht mehr bündelte, er hätte viel mehr daraus machen können, mit seinem ausgesprochenen Gespür für die Tiefe
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