Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Verkaufscharts waren nicht der Maßstab – so etwas gab es gar nicht. Musikalische Vielseitigkeit war möglich – im Gegensatz zum Musikgeschäft der Bundesrepublik. Wie starr das Schubladendenken dort war, sollte ich später erleben.
Die Probleme, mit denen wir uns herumschlugen, waren anderer Natur. Man konnte nämlich Instrumente und Technik nicht ohne Weiteres legal erwerben. Weil es gewisse Dinge einfach nicht gab. Es war ein offenes Geheimnis, dass wir Musiker unser Spielmaterial im kapitalistischen Ausland besorgen mussten. Anders konnten wir nicht spielen, denn etwas anzumieten war nicht möglich, und Kaufen ging auch nicht. Durch diese illegalen Geschäfte wurden wir politisch erpressbar und standen eigentlich immer mit einem Bein im Knast. Wie dünn das Eis war, auf dem wir uns bewegten, wurde mir aber erst ein paar Jahre später schlagartig klar, als mich die Staatssicherheit zu einem geheimen Verhör abholte, um eine Zeugenaussage von mir zu bekommen. Im Klartext: mich zu erpressen…
Als wir mit unserem Projekt Veronika Fischer & Band begannen, ahnte ich diese Zusammenhänge nur vage. Ich hoffte einfach darauf, dass das Land gute Musik brauchen könnte – der Import war schließlich teuer.
Mit meinem Mann László – wir hatten kurz vorher geheiratet – fuhr ich 1973 an einem Spätherbsttag im Wartburg Richtung Rositz in Sachsen. Per Telegramm hatten wir uns bei Franz Bartzsch angekündigt, dessen Lied »Wind trägt alle Worte fort« mir nicht mehr aus dem Kopf gegangen war. Er erwartete uns. Ich sagte noch in der Haustür: »Guten Tag, Franz, ich möchte mit dir arbeiten.« Und er antwortete: »Du hast doch den »Blues« gesungen, dann spielen wir zusammen.«
So war das. Ein neuer Horizont tat sich auf.
»Hat sie’s doch behalten können«, denkt die junge Frau mit dem Kinderwagen erleichtert, ein paar Schritte entfernt von dem Mietshaus, in dem sie wohnt. Die Frau aus dem Stockwerk darunter ist ihr begegnet, Blick nach unten, das dunkle Tuch eng um den Kopf geschlungen. Sie haben sich scheu, aber freundlich gegrüßt. Es gibt wohl keine Möglichkeit, einmal miteinander zu sprechen, denkt sie, als sie der Hochschwangeren nachschaut. »Misch dich nicht ein«, hat ihr Mann neulich strikt gesagt, als in der Wohnung unter ihnen abends der Streit losbrach, das Gebrüll und Gejammer. Der Gewaltausbruch.
Sie selbst hat schrecklich gelitten dabei, hat sich vorgestellt, wie die andere junge Frau mit dem Kind im Bauch sich zu schützen versucht, wollte eingreifen, nach unten rennen, an die Tür wummern. Irgendwie helfen. »Misch dich nicht ein«, war Lászlós einziger Kommentar gewesen. »Wir wissen nicht, worum es geht. Da herrschen andere Sitten.«
Sie fühlt sich so fremd hier, lächerlich unsicher in den einfachsten täglichen Dingen, sie hätte sich das so nie vorgestellt. Vielleicht fremder als die Türken, die schon jahrelang hier leben. Sich ihre eigene krumme Welt hergestellt haben.
Dass ihr Erfolg nicht über die Grenze mitkommen würde, darauf ist sie eingestellt gewesen. Und dass sie hier im Westen vielleicht ganz von vorn und mit etwas völlig anderem würde anfangen müssen – die Kraft dazu hat sie, jung genug dazu ist sie auch. Aber dass es plötzlich unmöglich ist, mit einer gleichaltrigen Frau aus dem gleichen Haus ein Gespräch anzufangen – bei ihrem Mann glaubt sie manchmal sogar, hier in Westberlin wäre der Südeuropäer in ihm zurückgekehrt, eine gewisse unausgesprochene Solidarität mit der türkischen Männlichkeit. Mit dem Pascha.
Das Leben hier ist so anders, was weiß sie schon davon? Auf einer der ersten Partys in der neuen Heimat hatte letzthin eine Frau zu ihr gesagt: »Er hat eine Apotheke und ein geerbtes Haus.« So, als würde das die neue Eroberung am treffendsten charakterisieren. Die Frau selbst hatte keinen eigenen Beruf. Eher scheint es hier für Frauen ein Beruf zu sein, sich Männer mit gutem Auskommen zu angeln, die sie dann versorgen. Und sich von dieser Strapaze dann seelisch und körperlich wieder zu erholen – auch das ein Teil des Berufs.
Eine Schicht Menschen ist das, die sie bisher nicht gekannt hat. Die sie eigentlich auch verachtet.
Benjamin hat sich im Wagen aufgestellt. Sie ist zu lang stehen geblieben, jetzt schaukelt sie das Gefährt hin und her und geht an dem Haus vorbei, sie will immer noch nicht hinein.
Paschas sind auch die Männer in der DDR, denkt sie. Die Frauen doppelt belastet, aber sie üben doch ihre Berufe aus. Sind noch
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