Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
oben nach unten gemischt, wobei die verschiedenen Register klanglich miteinander verbunden werden sollen, ohne Brüche. Ich hatte eine überdurchschnittliche Bruststimme, noch heute mein spezielles Charisma, aber eine unterentwickelte Kopfstimme. Die musste bei mir aktiviert und gefestigt werden, und zwar »im Sitz«. Dazu gleich mehr. Mein Vorteil war, dass man sich bei einer tiefen Stimme mehr Umfang in der Höhe erarbeiten kann als umgekehrt. Für einen Sopran ist es zum Beispiel weit schwieriger, mehr Tiefe zu schaffen.
Bei mir ging es also nach wie vor um die Verbindung der drei Stimmregister: Bruststimme, Mittelstimme und Kopfstimme. Frau Collum und nach ihr Herbert Schulz hatten mir von Beginn meines Studiums an erklärt, was es mit der eigenwilligen Formulierung »im Sitz« auf sich hat. Damit ist gemeint, dass die Tongebung nicht im Hals stattfindet. Nun mag man sich fragen: wo denn dann? Hier kommt die Einbildungskraft ins Spiel: Ein Sänger soll sich die Tongebung als etwas vorstellen, das außerhalb des Körpers stattfindet. Der Profi sagt dazu: in der »Maske« singen. Mit anderen Worten: Wenn man sich vorstellt, dass ein Ton nicht durch den engen Hals muss, ist die Tongebung weitaus klangvoller möglich. Schwer zu glauben, aber das stimmt tatsächlich. Das musste ich lernen, denn ich sang zu stark »im Hals«. Bei genügend Training – und ich rede hier von Jahren – kann man sich so eine klangvollere Stimme erarbeiten. Irgendwann verselbstständigt sich dann der »Sitz«, der ganze Körper singt sozusagen. Luciano Pavarotti war so ein Gesamtklangkörper. Körperfülle ist dabei übrigens nicht unwichtig. Dünne Sänger mit großem Stimmvolumen sind vor allem im Klassikbereich eher selten. Nicht leicht in der heutigen Zeit, wo auch Sänger Modelmaße haben sollen…
Insgesamt gilt für alles: Musik, und dazu gehört für den Sänger auch das Singen, muss man hören lernen. Ich weiß, das klingt komisch. So wurde ich in meiner ersten Unterrichtsstunde in Musikgeschichte in Dresden begrüßt und habe es nicht verstanden. Jetzt weiß ich, es stimmt.
Von Montag bis Donnerstag übte ich also an der Hochschule die Mischtechnik, die mir so künstlich vorkam, wie sie tatsächlich ist, aber auch sein soll. Die Texte werden dramatisch überzogen, das »Rrrrrrr« wird in einer Weise gerollt, wie man das im Alltag nie tun würde. Ich trainierte und studierte Nicola Vaccais Metodo Practico , eine Gesangsschule in Italienisch für die tiefe Stimme. Neben den technischen Übungen wie Tonleitern, Intervallsprüngen und so weiter sang ich klassische Lieder wie »Ach Elslein, liebes Elselein« und einfache Arien. Die ganze Technik irritierte mich anfangs, mir gefiel meine eigene Stimme nicht. Im zweiten Studienjahr wurde es besser. Meine Stimme festigte sich, und ich begann, auch Chansons und Musicals einzustudieren. Ich kam mir Schritt für Schritt näher, was ich nicht zuletzt der Hartnäckigkeit vorerst von Frau Collum zu verdanken hatte, wenngleich ich mir nicht vorstellen konnte, das ganze Jahr über Oratorien zu singen.
Jetzt im dritten Jahr trat ich an den Freitagen mit Panta Rhei auf und nutzte die »schlanke Stimmführung«. Da mischt man die Stimme umgekehrt, also von unten nach oben, indem man die Bruststimme über die Mittellage in die Kopfstimme zieht. Natürlich auch das »im Sitz«, was deutlich schwieriger ist. Mit genügend Training gelingt aber auch das. Aus meiner Sicht ist dieser Stimmklang persönlicher, authentischer. Was daran liegen mag, dass ich mich mit dieser Art von Musik eher identifizieren kann. Ich wollte nun einmal zum Blues und Rock, zum Chanson und Lied, ich wollte interpretieren. Im Pop wird vorwiegend diese schlanke Tongebung bevorzugt. Ein hervorragendes Beispiel ist der australische Popsänger John Farnham. Er verfügt über eine grandiose Technik und führt den Hörer locker durch alle Register seiner Stimme – und damit hat er alle Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung, klar, rau oder berührend zu singen. Einfach großartig.
Ich selbst war davon noch etwas entfernt. Ich bewegte mich Woche für Woche in verschiedenen musikalischen Welten und suchte nach meiner Stimmführung. Die Unterschiede in den Klangfarben meiner Register behielt ich – das ist bis heute so geblieben. Es ist das Charakteristische meiner Stimme.
Dass ich mit meiner Stimme Emotionen auslösen kann, habe ich übrigens zum ersten Mal bei einem Auftritt mit den Sternen im Hygienemuseum in Dresden
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