Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
erlebt. Ich sang »My Girl«, und plötzlich waren alle gebannt. Noch in den äußersten Ecken des Raumes. Ich war überrascht, und es war mir etwas unheimlich, diese Macht zu spüren. Die plötzliche intime Beziehung zu allen Zuhörern, die da passierte. Eine spirituelle Verbindung und ich war die Überbringerin. Eine neue Erfahrung.
In der Band lernte ich, was zu lernen ging, zum Beispiel, mich aus den vorgeschriebenen Kompositionen herauszulösen und zu improvisieren. Da ich Anfängerin war, dachte ich, das sei normal. Ist es nicht unbedingt – für manche ist es einfacher, wenn sie sich an die vorgegebenen Noten halten können, und sie schaffen es nie, eigenen Improvisationen zu folgen – die natürlich zu dem passen müssen, was die übrigen Bandmitglieder spielen. Ich hatte aber eine schnelle Auffassungsgabe, und deshalb war es nur anfangs schwierig.
Wenn ich bei den Proben gerade nicht gefordert war, machte ich mich an die Perkussionsinstrumente und trainierte damit. Auf der Bühne spielte ich gern Tambourines und Shaker, wenn ich nicht sang. Das muss man üben, damit es nicht klappert – im Jazz ist es mitunter üblich, dass Sänger oder Sängerin etwas zum Rhythmus beitragen an den Stellen, wo ihre Stimmen nicht gefragt sind. Mittlerweile überlasse ich das gern meinen Schlagzeugern.
Ich war gute zwanzig Jahre alt, ein Spätentwickler, noch unerfahren in allem. An die zweideutigen Blicke und Sprüche meiner männlichen Kollegen konnte ich mich gewöhnen, aber es gefiel mir nicht. Die Musiker einer Band waren Helden, und meine Kollegen nutzten das ausgiebig, um Frauen abzuschleppen. Anfangs fühlte ich mich zwischen ihnen wie von einem anderen Stern. Dadurch bekam ich als heranwachsende Frau erst mal Komplexe, die ich mit meinen ersten Freunden langsam wieder abbaute. Ich erlebte, dass Erfolg Neid bringt. Auf der einen Seite braucht man Erfolg, wenn man sich entschließt, auf die Bühne zu gehen, aber man tritt auch aus der Gemeinschaft heraus. Das kann einsam machen.
Ich begann auch zu spüren, wann und womit ich das Publikum begeisterte, auf was die Leute ansprangen, wenn ich sang. Unsere Branche lebt von der Livearbeit, studieren kann man die Technik, aber die Bühnenarbeit muss man sich zäh erarbeiten. Ausprobieren ist da wichtig, und jeder Erfahrungswert zählt.
Neue Horizonte
Im Herbst 1973, nach zwei Jahren bei Panta Rhei, wünschte ich mir einen eigenen Block im Programm der Band. Es langweilte mich, nur gelegentlich zwischen anderen Songs singen zu dürfen. Die anderen Stücke sang entweder Herbert, oder es wurde instrumental aufgespielt. Das war durchaus interessant, aber ich wollte Spannungskurven erzeugen, erfahren, wie verschiedene Stimmungen zueinanderpassen und miteinander wechseln können, freche, aggressive, romantische. Ich wollte einfach mitgestalten.
Kurz zuvor hatte ich die Abschlussprüfung an der Hochschule bestanden, mit Eins. Tagsüber »Lied, Chanson und Musical« an der Hochschule, abends kam die Prüfungskommission dann geschlossen zum Panta-Rhei-Konzert, das als zweiter Prüfungsteil gewertet wurde – eine Art Ehrenbezeugung der Dozenten. Panta Rhei war damals sehr erfolgreich, wir hatten Hits wie »Nachts«, »Blues« oder »Alles fließt« und spielten zufällig genau am Prüfungsabend in Dresden. Das hatte sich an der Hochschule herumgesprochen. Nachts feierten wir alle in der winzigen »gesperrten« Wohnung, in die László und ich gezogen waren. Nach einem Jahr im »Obdachlosenheim für Studenten« in Pieschen (unter Einheimischen und Studenten auch »Fickpieschen« genannt) hatte ich es dort nicht mehr ausgehalten. László hatte über Freunde eine kleine Wohnung entdeckt, in die wir ziehen konnten. Endlich waren wir für uns. Die Miete war gering, denn die Wohnung hätte gar nicht vermietet werden dürfen, sie lag in einem gesperrten Haus unterm Dach. Wir wohnten sozusagen schwarz, bis wir nach Berlin umzogen. Und nun ließen wir dort die Kühe fliegen, um mein bestandenes Examen zu feiern.
Ein paar Tage später erklärte ich meinen Mitstreitern bei Panta Rhei: »Ich möchte eine halbe Stunde im Konzertablauf, in der ich ohne Unterbrechung singen darf!« Und erntete spöttische Ablehnung. Wer war ich schon, eine Anfängerin. Mein Wunsch erschien den gestandenen Solisten vermessen. Ich blieb ruhig und erklärte, wenn das nicht ginge, dann würde ich eben aussteigen. Man tat so, als wäre das allen gleich, und so ging ich. Als sich Panta Rhei kurz darauf ganz
Weitere Kostenlose Bücher