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Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)

Titel: Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veronika Fischer , Manfred Maurenbrecher
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nicht einmal stolz darauf.
    Sie fängt an zu summen, damit das Kind wieder einnickt, denkt an den trockenen Rauch der Sommerfeuer. Gegenbild zur Feuchtigkeit in den Häusern. »Es war so viel Rauch«, summt sie und spürt ihn, den ›Rauchigen Sommer‹, eins der Lieder, die Franz Bartzsch und Kurt Demmler für sie geschrieben haben. Nur ein paar Jahre her. Jetzt wirkt es wie ein Jahrzehnt, das dazwischenliegt. Geheime Liebe, die Sommeraffäre, von der das Lied erzählt – das gibt es überall. Aber die materielle Berechnung bei der Partnerwahl – so etwas war in der DDR doch eher unüblich. Ein bisschen nutzlos auch, wenn nur die wenigsten mehr hatten als alle anderen.
    Wieder mal fragt sie sich, ob sie für die Zustände in dem Land hier, das kein Zuhause für sie ist, überhaupt Lieder finden könnte. Und Menschen, mit denen sie arbeiten mag. Sie hat ja einen Vertrag – der ist bereits vor ihrem Weggang aus Ostberlin angebahnt worden –, ist groß empfangen worden von Siggi Loch, dem mächtigen Chef der WEA.
    Der Kontrast zwischen dem protzigen, auf Hochglanz polierten Gebäude des Plattengiganten und der Siffigkeit hier im Wedding könnte kaum größer sein.
    Sie bekommt Geld durch den Plattenvertrag, immerhin. Man hat ein Auskommen.
    Direkt nach ihrer Übersiedlung aus Ostberlin ist die kleine Familie bei Franz Bartzsch untergeschlüpft. Er half unkompliziert und fuhr dann gleich in Urlaub. Vier Wochen könnten sie seine Wohnung nutzen, war abgemacht worden. Und das schlechte Gewissen war greifbar gewesen – denn ohne Franz’ unangekündigten Weggang im Juni 1980, einfach aus einer Tournee heraus, wäre sie wahrscheinlich noch, was sie war, und dort, wo sie herkommt, in ihrer Heimat.
    Der Abbruch einer großen Karriere wäre vielleicht gar nicht passiert. Nicht nötig gewesen. Aber es gab ja noch die anderen, diese schwelenden politischen Zweifel.
    Sinnlos, jetzt darüber zu reden. Nur über die Zukunft. Franz Bartzsch hält sich, was die betrifft, recht bedeckt. Für sie ist er jetzt eigentlich ein Verräter. Das wird er wohl ahnen. Trotzdem fragt sie ihn, ob er auch hier im Westen weiter mit ihr arbeiten würde. Er sagt nicht viel dazu. Ja, er könne sich das vorstellen, schön zu wissen, dass es da einen Vertrag gäbe mit einer großen Firma. Also Geld. »Und Vroni«, seine Stimme kurz vor der Abreise ist sehr deutlich: »Wenn du hier etwas werden willst, dann musst du Schlager machen.«
    Das bleibt im Ohr. Sie sucht den Haustürschlüssel. Fast gleichzeitig tritt die Türkin an die Tür, sie lächeln sich an. Neulich nach dem Exzess hat jemand dann doch noch die Feuerwehr gerufen, auch der Schläger war mitgenommen worden, aber nur für eine Nacht, man hörte ihn schon am nächsten Tag wieder in der Wohnung im Stockwerk drunter.
    Während sie Benjamin hochhievt, zeigt sie mit dem Kopf auf den Bauch der Hochschwangeren und fragt: »Alles gut?«
    »Alles gut«, wiederholt die Türkin und hält die Tür auf.
    Die erste eigene Band
    Wenn man als DDR-Bürger in der Hauptstadt Berlin leben wollte, brauchte man eine spezielle Erlaubnis – besser gesagt: eine ganze Kette von Erlaubnispapieren. Um dort arbeiten zu können, brauchte man einen Wohnberechtigungsschein, und um den zu bekommen, musste man einen Arbeitsnachweis erbringen. Dadurch sollte verhindert werden, dass Leute »einfach so« aus der Provinz in die Hauptstadt zogen, ohne einen Plan oder Job zu haben. Wir machten uns trotzdem auf nach Berlin. Ich hatte eine Freundin, die mit einem Bassisten zusammenzog – und László und ich übernahmen einfach ihre Bude, ohne Genehmigung. Ein Zimmer mit Außentoilette eine Treppe tiefer. Später, als ich bekannt war, bekam ich die Wohnung auch offiziell. Franz kam ebenfalls nach Berlin, erst allein, aber er war ja verheiratet und hatte zwei Kinder – wir fanden dann eine Anderthalbzimmerwohnung nebenan in der Straßmannstraße mit ebenfalls nur Außentoilette, dort zogen wir ein, während Franz mit Familie unsere Wohnung übernahm. Auch schwarz. Seine Kinder schliefen in der Küche im Doppelbett, mit einer Gardine davor.
    Während dieses halben Jahres von Anfang bis Mitte 1974, in dem wir erfanden, probierten und das Repertoire für unsere erste LP zusammenstellten, bauten sich allmählich die drei Säulen auf, die das Fundament für meine Karriere in der DDR bilden sollten. Wir wuchsen zu einer kompakten, vielseitigen Liveband zusammen, die mit mir als Frontfrau den kleinen, manchmal intimen

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