Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
Pianisten der DDR wie Ulrich (Ed) Swillms (Karat) oder Reinhard Lakomy (erst Jazzpianist, später Komponist von Kinderliedern wie »Der Traumzauberbaum«).
Franz’ Klavieranschlag war kraftvoll. Er setzte sich ebenso intensiv mit den Sounds und der Spielweise eines Keyboards ausein ander. Begonnen hat er allerdings als Bassist. Als ich ihn zum ersten Mal bewusst hörte – bei dem Song »Wind trägt alle Worte fort« – spielte er noch vorwiegend Bass. Mir fiel gleich auf, dass er eine rhythmusbetonte Spielweise liebte, die bald auch in seinen Kompositionen zum Ausdruck kommen sollte. Was er komponierte, verstand er spannend zu harmonisieren. Er sang selbst und gut. Das hatte für mich den Vorteil, dass seine Melodien sich organisch aufbauten und dadurch schöne Bögen entstanden. Es war einfach zu spüren, dass da jemand komponierte, der das Singen verstand. Nicht jeder Komponist kann das, manchmal muss man sich verbiegen, damit das Ausgedachte auch klingt. Bei Franz war es zumeist für mich »mundgerecht« –, als hätte ich es tatsächlich selbst komponiert.
Normalerweise komponierte er erst eine Melodie, für die wir anschließend einen Text suchten. So entstanden die meisten unserer Lieder. Für ihn war das leichter, er dachte in Tönen. Er konnte aber auch fertige Texte gut umsetzen: »Auf der Wiese« etwa von Bettina Wegner oder, viel später, das »Lied vom Schnee« von Erwin Berner oder das wunderbare »Ein Winter ist mir wiederfahrn« nach einem Text von Gisela Steineckert.
Ich erinnere mich noch gut daran, wie er eines Tages zur Probe kam und mir den Text von »Auf der Wiese« zeigte. Kaum hatte ich die Strophen gelesen, stellte er mir auch schon seine musikalische Idee dazu vor. Wir probten das Stück sofort. Ich war danach etwas unentschlossen, nicht wirklich begeistert, nicht wie bei einigen anderen seiner Kompositionen. »Guten Tag« oder »…dass ich eine Schneeflocke wär« waren für mich solche Sternstunden gewesen. Ich brauchte eine Weile, bis ich mein Unbehagen in Worte fassen konnte und ihm sagte, dass ich eigentlich keine Schlager singen wolle.
Er antwortete trocken: »Aber du brauchst Erfolg.«
Und meinte: Wir brauchen Erfolg.
Franz behielt recht damit, was das Potenzial dieses Liedes angeht, ich singe es bis heute. Die Menschen haben es vom ersten Moment an angenommen, es ist zum »Volkslied« im besten Sinne geworden.
Franz war in dieser Zeit kreativ einfach unschlagbar, sprudelte nur so vor Ideen und war regelrecht getrieben davon. Ich musste oft neben ihm auf der Klavierbank sitzen und sofort umsetzen, was ihm einfiel. Oder er schickte jemanden vorbei, einen Bekannten, der in der Nähe wohnte, oder rief von der Post aus Franky an, unseren Trommler, der mir dann die Nachricht überbrachte: »Du musst unbedingt kommen, ich hab ’ne neue Idee.« Und als allerletzte Chance gab es, wenn es wirklich brannte, ja noch den Telegrammboten. Der wurde wichtig, als wir nicht mehr in unmittelbarer Nachbarschaft wohnten, weil Franz mit seiner Familie eine neue Wohnung in der Lenbachstraße bezogen hatte. Spätestens am nächsten Tag war ich bei ihm. Dann gab’s einen Kaffee, und schon saßen wir am Klavier. »Hör mal, was hältst du davon?«
Franz lebte Musik, er sprach beim Vorspielen laut, drückte Gefühle mit Geräuschen aus, brummte und sang. »Ist das deine Tonart? Probier mal«, oder: »Wie wollen wir es umsetzen, welche Aussage passt dazu?« »Gefällt es Dir?«
Mir gefiel fast alles. Hin und wieder war Franky, unser Schlagzeuger, bei diesen Treffen dabei oder Hansi Biebl, der Gitarrist – beide hochmotiviert. Ein neuer Song wurde so zu einem Gemeinschaftswerk, einer kollektiven Aussage, jeder durfte seine Erfahrung einbringen. Ich lieferte eher rockige Impulse, war von Panta Rhei geprägt und wollte etwas spröder sein als Franz. Aber wir fanden uns zunehmend, unsere Musikempfindungen paarten sich. Franz schrieb mir die Kompositionen auf den Leib. Er kannte meine Schokoladenseiten, meine Schokoladentonarten und meinen Stimmumfang (ungefähr drei Oktaven, vom großen A bis zum zweigestrichenen H). Er drängte mich, stimmlich auch große Höhen zu meistern, was mir viel abverlangte, denn mein Hauptbereich als Altistin waren Mitte und Tiefe. Franz aber liebte scharfe Höhen und glaubte an meine gesangliche Kraft dafür. Er selbst hatte ein schneidendes Falsett, das Gesangsregister der männlichen Kopfstimme. Die war bei ihm sehr ausgeprägt, und er setzte sie oft in unseren Chören
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