Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
für mich schrieb. Aber als wir das geklärt hatten, setzte er all das, was ich mir vorstellte, brillant um.
Um Kurt ranken sich viele Anekdoten. Jeder kannte seinen geradezu absurden Geiz und seine extreme Verletzlichkeit. Gleichzeitig umgab ihn die Aura des Erfolgs. Schon damals munkelte man darüber, dass er eine Schwäche für »kleine Mädchen« habe. Weil man ihn brauchte, ging niemand der Sache auf den Grund, niemand gebot ihm Einhalt. Im Gegenteil: Wenn er als Liedermacher auftrat, wirkte er auf viele elektrisierend – auf die Zuhörerinnen weitaus mehr als auf ihre männlichen Begleiter. Von seinen Liedern ging eine drängende Einsamkeit aus, eine riesengroße Sehnsucht nach Liebe. Freundschaften ließ er nicht zu.
Er suchte sich gern Partnerinnen für die Bühne, schrieb jungen Sängerinnen oder Mädchenchören und -bands Gegenstimmen zu seiner eigenen. Mit seinem scharfen Verstand war es ihm gegeben, sich auf die unterschiedlichsten Menschen einzustellen.
Er blieb ein Einzelgänger.
Auch wir sagten uns: Wir müssen Kurt so nehmen wie er ist, wir werden ihn nicht ändern – wichtig war uns sein Talent, sein Können. Die entstandenen Melodien betextete er, die Ergebnisse schickte er meist per Post oder mit Boten. Das ging bei ihm schnell und zuverlässig. Er war der Mann fürs Wort, kein Freund, der einfach so mal vorbeigeschlendert kam. Aber als sich meine Band ein paar Jahre später zeitweilig von mir trennte und ich zum ersten Mal ohne die musikalische Regie von Franz Bartzsch auskommen musste, hielt Kurt mir die Treue. Für die damals entstehende LP Aufstehen schrieb er zwölf wunderbare Texte und sorgte so für Kontinuität. Auch auf unserem letzten DDR-Werk Goldene Brücken – wir waren als Band inzwischen wiedervereint – entfaltete sich noch einmal die ganze Kraft seiner Poesie. Wie er bei »Zeit für ein Kind« ein sehr privates Gefühl groß machte, für alle zugänglich, ohne die Intimität zu verraten und ohne dass es auch nur im Geringsten »triefte« aus dem Text, das ist große Kunst.
Meinen Weggang aus der DDR hat er nicht gutgeheißen. Er nahm in den Achtzigern, obwohl er in den Westen reisen und dort auftreten durfte, keinen Kontakt zu mir auf, auch nicht zu Franz. Den späteren Untergang der DDR empfand er als Unglück – historisch, kulturpolitisch und vor allem, was seine eigene Bedeutung anging. Obwohl ich mich darum bemühte, kam es auch nach dem Mauerfall nur selten zu einer Zusammenarbeit; bei unseren raren Begegnungen wirkte er ausgebrannt auf mich, im persönlichen Umgang noch fremder als früher.
Als ich ihn einmal in seiner Berliner Stadtwohnung besuchte und fünf zehnjährige Mädchen antraf, die er zu einer »Girlie-Band« ausbilden wollte, in einem kleinen Zimmer mit dem riesigen Bett darin, das dort auch früher schon gestanden hatte – da überkam mich das gleiche unangenehme Gefühl wie bei unserer ersten Begegnung. Ich erinnerte mich an das »Munkeln« der Kollegen. Hätte ich die Polizei rufen sollen? Aber was war schon gewesen, welchen Beweis hatte ich denn, ich hatte nichts gesehen, nur ein ungutes Gefühl!
2002 wurde gegen ihn erstmals Anklage wegen des Verdachts auf sexuellen Missbrauch Minderjähriger erhoben, er wurde zu einer Geldstrafe verurteilt. Sechs Jahre später kam er wegen des gleichen Verdachts in Untersuchungshaft. Zwölf Tage nach Beginn der Hauptverhandlung fand man ihn erhängt in seiner Zelle.
Nach Kurts Selbstmord in Moabit wurde ich mit den unterschiedlichsten Vorwürfen konfrontiert: Die einen meinten, ich hätte das doch merken müssen, schließlich hätten wir jahrelang zusammengearbeitet. Ich sei doch wohl »eingeweiht« gewesen. Die anderen meinten, meine Empörung über sein Verhalten würde dazu beitragen, eine Kultfigur der Ex-DDR nachhaltig zu vernichten. Er habe doch so viel geleistet, und »…die Kinder haben doch mitgemacht«.
Ich weiß bis heute nicht, wie ich mich richtig hätte verhalten sollen. Jedem, der dem erfolgreichen Texter einen Sonderstatus zubilligt, halte ich entgegen, dass hier Kinder aufs Übelste manipuliert, ihnen Erfolg und Ruhm versprochen wurden, wenn sie sich nur ihrem »Entdecker« hingaben. Verabscheuungswürdig.
Ich weiß aber auch von mindestens zwei Müttern, die Kurt aus dem Oktoberklub kannten, einem politisch-ideologischen Singeclub – hier wussten alle von seinen Vorlieben –, und die ihre Töchter trotzdem in seine Obhut gaben. Ich frage mich, ob diese Mütter nicht auch sein Zimmer
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