Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
das Wichtigste, dass ich meine kleine Familie endlich wiedersah.
Jetzt musste der Umzug vorbereitet werden. Ich durfte nur die Hälfte des Haushalts mitnehmen, damit ich nicht in Verdacht geriet, endgültig umsiedeln zu wollen. Nebenbei absolvierte ich die immer weniger werdenden Konzerte. Wieder besuchte mich Gottfried, der Jugendpfarrer, und spendete mir wie anderen alleinstehenden Frauen Trost. Wie sich nach der Wende herausstellte, war er ebenfalls ein IM der Stasi. Die Kirche war auch dabei!
Unser neues Leben zwischen den Systemen zog sich über vier Monate hin. Die ersten vierzehn Tage durfte ich in Westberlin bei den netten Bekannten Petra und Gerd Lindner in deren Kinderzimmer mit meinem Jungen zusammen sein, während László zwischen Ungarn, Österreich und Westdeutschland hin und her fuhr, um den Hausstand und alles Mögliche nachzuholen. Benjamin weinte viel, er spürte die Veränderungen, das Fremdsein, meine Zerrissenheit. Es war sicher nicht einfach für Petra und Gerd, die selbst einen kleinen Jungen hatten, uns zwei Wochen lang aufzunehmen. Später bekamen wir nebenan eine Zweiraumwohnung, da wurde es etwas leichter. Auf der anderen Mauerseite lebte sich Kerstin mit ihrem Baby in unserer leerer werdenden Wohnung immer besser ein; leider durfte sie nicht dauerhaft darin wohnen bleiben, aufgrund der Größe stand ihr die Wohnung nicht zu.
Im Machtapparat der DDR war die mir freundlich gesinnte Fraktion natürlich die schwächere. Die andere, das MfS, bekam von überallher, auch aus dem Ministerium für Kultur, ihre Informationen: »In der Angelegenheit Fischer ist einzuschätzen, dass es ihr gelungen ist, die Kulturbürokratie der DDR mit ihrer ›Menschlichkeitsdiskussion‹ hinters Licht zu führen«, heißt es in einem Vermerk vom 12. November 1980, HA XX/7, Quelle IMS »Günther«. Könnte »Günther« Gottfried der Pfarrer sein?
Oder: »Es wird gegenwärtig nur auf Vorschläge der Fischer eingegangen«, so in einer »Einschätzung« eines Berichts über die geplanten Ost-West-Treffen des Ministeriums vom 9. Dezember 1980, »eine derartige Situation hat es noch nicht gegeben. (…) Gen. Wagner hat das MfS über die angeführten Aktivitäten im Interesse der Fischer nicht in Kenntnis gesetzt.«
Und in einer handschriftlichen Notiz auf dem Abhörprotokoll meines zweiten Gesprächs mit Siegfried Wagner Ende November 1980, wo ich unter anderem um die Möglichkeit bat, im Auto Möbel für die kleine Wohnung im Wedding von Ost nach West zu transportieren, heißt es: »Das scheint mir ein ganz übler Trick zu sein! Über IM versuchen, an die V.F. heranzukommen, um ihre Hintergründe in Erfahrung zu bringen! Gez. Kienberg, Generalmajor.«
Diese Akten und Vermerke kannte ich damals natürlich nicht. Aber wie brüchig die Vereinbarungen waren, konnte ich Tag für Tag spüren. Andere Künstler – das wusste und nutzte auch die Staatssicherheit – reagierten mit Neid auf meine Sonderbehandlung. Mein Visum war auf zwei Jahre ausgestellt, in den Papieren wurde ausdrücklich unterschieden zwischen meinen Privataufenthalten in Westberlin und meinen Arbeitsverpflichtungen in der DDR. Was bedeutete, dass die DDR mir Auftritte im Westen genauso verwehren konnte wie Schallplattenaufnahmen mit westlichen Firmen. Künstlerisch hing ich schlicht am Gängelband des Staates. Das konnte nicht gut gehen.
Inzwischen wussten Kulturbeauftragte, die sich für mich einsetzten, dass diese Situation auf Dauer unhaltbar sein würde. Es wurde klar, dass ich langfristig für immer gehen musste. Doch das sollte in aller Stille geschehen – so die unausgesprochene Abmachung mit mir. Indem sie mir zunächst das Visum und dann den halben Umzug ermöglichten, agierten die Kulturbeauftragten wissentlich entgegen den Interessen der Staatssicherheit, die ja per Gesetz die Aufgabe hatte, jeden Weggang eines DDR-Bürgers zu verhindern. Ein einzigartiger Vorgang! Auf diese Weise wurde die Stasi regelrecht ausgetrickst. Wäre das schiefgegangen, hätte ich ebenso gut in Hoheneck, dem Frauengefängnis der DDR landen können, das berüchtigt war für seine unmenschlichen Bedingungen.
Meine endgültige Ausreise musste so eingefädelt werden, dass sie am Ende mir in die Schuhe geschoben werden konnte. Nur so konnten meine Unterstützer vor der Stasi noch halbwegs ihr Gesicht wahren.
Mit dem Verbot, im Westen Verträge abzuschließen, bot sich hierzu die Gelegenheit. Denn über eine Verbindung zum Westberliner Manager Gerhard Kämpfe bot
Weitere Kostenlose Bücher