Das Lügenlied vom Glück: Erinnerungen (German Edition)
wiederzubekommen. Es blieb offen, ob sie das Kind zurückholen oder zu ihm fahren wolle.«
Am nächsten Tag traf ich mich mit dem stellvertretenden Minister für Kultur, Siegfried Wagner. Ihm sagte ich, was ich mir vorerst wünschte, nämlich weiterhin in der DDR arbeiten, aber auch mit meiner Familie im Westteil leben zu dürfen. Eigentlich ein unerhörter Wunsch. Doch Wagner war ein netter Mensch und mir zugetan, er sicherte mir zu, sich für mich einsetzen zu wollen. Das war auch für ihn gefährlich, wie mir später klar wurde, und ich habe wohl zu seiner Entlassung beigetragen. Auf diesem Weg möchte ich mich für seinen Einsatz bedanken.
Dann musste ich bei der Stasi vorsprechen. Wenn ich mich scheiden ließe, so der Vorschlag dort, könnte man mir innerhalb eines Tages mein Kind zurückbringen. Ich bewahrte nur mühsam die Fassung: Sie kannten den Aufenthaltsort von Benjamin? Wie das? Den kannte ja nicht mal ich! Ich schluckte mehrfach, dann sagte ich mit der festesten Stimme, zu der ich in dieser Situation in der Lage war: »Ich möchte eine Zusammenführung mit meiner Familie und keine Scheidung.«
Im Nachhinein denke ich, dass nur meine große Bekanntheit dafür gesorgt hat, dass sie mich an diesem Punkt der Entwicklung nicht verhaftet haben. Unruhe in der Bevölkerung, besonders unter der Jugend brauchten sie nicht, das war mein Schutz.
Am 11. Oktober, fünf Tage nach Lászlós Weggang aus der DDR, führte laut Stasiunterlagen ein Vertreter des Komitees für Unterhaltungskunst ein Gespräch mit meinem Mann in Westberlin. In den Aufzeichnungen heißt es: »In dem Gespräch äußerte Kleber unwiderruflich, dass er nicht gewillt sei, in die DDR zurückzukehren, und nicht bereit, das Kind der Fischer in die DDR zurückzugeben, selbst dann nicht, wenn sich die Fischer das Kind selbst holen würde; er habe bereits andere Dispositionen getroffen.«
Ich hatte keine Ahnung, was hinter meinem Rücken vor sich ging. László gestand mir später, wie unsicher er gewesen sei, ob sein Plan wirklich aufgehen würde. Nur dass er dafür nach außen ganz unbeugsam wirken musste, das war ihm klar.
Obwohl ich zu dieser Zeit noch für einen »dritten Weg« kämpfte, ein Leben zwischen den beiden Systemen, empfand ich überall Abschied. Von meiner Schwester, der kleinen Nichte Ines, meiner Familie in Thüringen. Wie würden sie es verkraften, wenn ich tatsächlich ging? Wären sie meinetwegen Schikanen ausgesetzt? Keiner von uns sprach es aus. Unausgesprochen auch der mögliche Abschied von Freunden und Kollegen. Und das Warten fiel schwer, ich wurde unruhig und traurig. Ich vermisste am meisten meinen Sohn – wohin ging die Reise?
Gleichzeitig wusste ich, dass ich hart bleiben musste. Die Gegenseite lauerte auf den kleinsten Fehler. In einem Brief an Siegfried Wagner machte ich mein Nein zu einer Scheidung und Kindesrückführung durch die Stasi noch einmal deutlich: »Gleichzeitig empfinde ich trotz des egoistischen Schrittes meines Mannes eine enge Bindung zu ihm (…). Ich liebe ihn nach wie vor, ebenso wie mein Kind. Uns verbinden elf gemeinsame Jahre. Mein Kind soll Vater und Mutter haben. Deshalb kann ich nicht den Antrag stellen, mein Kind mit juristischen Mitteln zurückzuholen. (…) Ebenfalls bitte ich, mir zu ermöglichen, dass ich regelmäßig mit meiner Familie in Westberlin zusammen sein kann, also eine Art zweiten Wohnsitz habe.«
Nach vier endlos langen Wochen kam dann endlich die erlösende Nachricht: Ich würde ein Visum erhalten! Die mir und meiner Musik Wohlgesinnten hatten sich offenbar durchgesetzt. Was hinter den Kulissen den Ausschlag für diese Entscheidung gegeben hat, vermag ich nicht zu beurteilen. Für die Generaldirektion beim Komitee für Unterhaltungskunst könnte mein Status als Gast-Westberlinerin eine Art Testballon gewesen sein für mögliche Geschäfte mit westdeutschen beziehungsweise internationalen Musikfirmen. Man hoffte ja auf Einnahmen in harter Währung. Es folgten ein paar Gespräche, die der Direktor der AWA, Genosse Eisenbarth, sowie Abgesandte des Kulturministeriums und der Generaldirektion unter anderem mit Franz Bartzsch, Vertretern der Musikindustrie und Westberliner Kulturmanagern führten. Aber davon hatte ich damals keine Ahnung. Mir wurde lediglich mitgeteilt, dass man mich selbstverständlich weiter mit DDR-Geld bezahlen würde – ich also etwaige Westgeldeinnahmen abzuliefern hätte – so rechnete sich das für den sozialistischen Staat. Egal! Für mich war
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