Das Luxemburg-Komplott
Erfahrungen schildern, die wir in Russland gemacht haben.« Radek winkte ab. Es hätte auch nicht gut ausgesehen, schließlich war er gerade erst gekommen und hatte den Beginn der Diskussion nicht miterlebt. »Nun gut, dann will ich auf einige Zusammenhänge hinweisen, die vielleicht nicht durchweg auf Beweisen beruhen, die a ber dennoch beweiskräftig sind. Schließlich sind wir hier kein bürgerliches Gericht, sondern die Zentrale der revolutionärsten Partei.«
Zustimmendes Gemurmel.
»Wenn ein Mordanschlag auf eine Führerin der Revolution verübt wird, dann ist es nur folgerichtig, die Täter in den Reihen der Konterrevolution zu suchen. Oder sehe ich das falsch?« Er warf einen bösen Blick zu Zacharias, der ihn ruhig aushielt. »Das entspricht übrigens ganz dem Vorgehen der bürgerlichen Kriminalisten. Wenn die Freundin des Ehemanns ermordet aufgefunden wird, sollte man zuerst die Ehefrau befragen, nicht wahr?«
Gelächter.
»Ich will das jetzt nicht moralisch analysieren, Genossin Zetkin, auch nicht mit Blick auf die Diskussion über die freie Liebe …«
Gefeixe. Pieck schnitt eine Grimasse.
»… sondern mich auf den Kern dieser Nuss konzentrieren. Wir haben hier keine Zeit für sophistische Exerzitien, die Revolution ist in Gefahr, und wer zögert, hilft dem Feind.«
Beifall. Fäuste donnerten auf den Tisch.
»Wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass der Feind uns bekämpft, wo und wie er nur kann, dann ist es der Mordanschlag. Niemand anders als die Reaktion kann hinter dem Attentat stecken. Die Frage ist nur, welcher Teil der Reaktion? Wer kann es in Berlin, mitten im Regierungsviertel, wagen, einen Trupp bewaffneter Soldaten in die Reichskanzlei zu schicken?« Er schaute in die Runde, um die Spannung zu steigern. »Die Freikorps? Kaum. Die haben sich aus Berlin verzogen, versammeln sich um München, um die Stadt zu nehmen und dann von dort den Marsch auf Berlin anzutreten. Abgesehen von den Einheiten, die im Osten stehen. Aber die haben sich bisher auch nicht nach Berlin getraut. Wenn es also nicht die Freikorps sind, wer dann?«
Wieder schaute er sich um. Es war still geworden. »Ich sage es Ihnen, Genossinnen und Genossen, es gibt nur eine Kraft, die es wagt, mitten in Berlin einen Anschlag auf unsere Führerin zu begehen, das ist die Sozialdemokratie von Ebert und Scheidemann. Oder haben Sie vergessen, was diese werten Genossen im Januar im Vorwärts geschrieben haben? Dass sie Luxemburg, Liebknecht und Radek tot sehen wollen. Das haben sie geschrieben, und das meinen sie ernst. Und mit der Genossin Luxemburg wollten sie anfangen.« Er winkte ab. »Ja, ich höre schon die Einwände. Keine Beweise. Politisch ist das aber bewiesen, Genossen, und das Geständnis der Drahtzieher liegt vor.« Er zog aus der Innentasche seines Jacketts einen Zeitungsausriss und las vor mit pathetischer Betonung der Namen:
»Viel hundert Tote in einer Reih – Proletarier!
Karl, Rosa, Radek und Kumpanei –
es ist keiner dabei, es ist keiner dabei!
Proletarier!«
»Hört! Hört!« rief Pieck, als hätte er das Gedicht nicht längst gekannt.
Liebknecht beobachtete gebannt Frieslands Auftritt. Wie würde er sich entscheiden, der Vorsitzende des Rats der Volkskommissare? Der Mann, dessen Wort auf der Straße viel galt, der aber in der Partei selbstherrlich zu wissen beanspruchte, was die Revolution verlangte. Liebknecht, das war die Revolution, und nur Rosa konnte ihn beeinflussen, auch wenn es nie lange vorhielt. Zacharias sah, dass Liebknecht hin und wieder nickte, gerade dann, wenn Friesland die Schuld der Mehrheitssozialdemokraten unterstrich.
»Erst haben sie die Revolution verraten, dann haben sie uns ihre Freikorps auf den Hals geschickt und uns zusammenschießen lassen wie im Januar und auch im März. Und jetzt versuchen sie, unsere Führer zu ermorden. Erst die Genossin Luxemburg …«
»Noch lebe ich!« rief sie dazwischen.
Niemand reagierte auf den Einwurf.
»… dann den Genossen Liebknecht und schließlich den Genossen Radek.«
»Auch ich erfreue mich noch bester Gesundheit!« rief Radek dazwischen. »Aber der Genosse Friesland hat natürlich recht. Denkt an das Attentat auf Lenin im Sommer. Das waren die Sozialrevolutionäre, die nannten sich auch links, so wie die Scheidemann-Sozialisten sich links nennen.« Radek war aufgesprungen, nun setzte er sich wieder und massierte mit den Fingern die Mundwinkel.
»Was ist die Schlussfolgerung aus dem, was wir erleben, und dem, was unsere
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