Das Luxemburg-Komplott
muss ich zuerst fragen: Wem nutzt das?« Sie blickte jedem einzelnen in die Augen und genoss die Anspannung ihrer Zuhörer. »Nun, es nutzt … dem Genossen Friesland.«
Staunen, Gelächter.
»Das ist doch eine Zirkusnummer«, rief Pieck.
»Es bedarf schon einer gewissen Kunstfertigkeit, um bestimmten Genossen auf die Schliche zu kommen.«
»Das ist unerhört!« rief einer.
»Genau das ist es, unerhört.« Sie tat so, als würde sie in dem Papierstapel vor ihrem Platz auf dem Tisch etwas suchen. Aber Zacharias erkannte gleich, dass sie den Genossen die Möglichkeit geben wollte, jedes Argument zu bedenken. Es sollte nicht das eine durch das folgende übertönt werden. »Der sogenannte Anschlag hat bewirkt, dass wir uns hier zerfleischen über die Frage, ob wir die Kritiker und Gegner zusammen in einen Sack packen sollen, um dann mit Knüppeln draufzuhauen. Der Genosse Friesland ist jüngst aus Russland zurückgekehrt, um uns diese bolschewistische Lehre anzutragen. Ich verfahre nicht anders als Friesland, nur berichtige ich die Tatsachen. Der Genosse geht von falschen Tatsachen aus und ich von den richtigen. Daraus ergeben sich unterschiedliche Schlüsse. Mein Schluss ist, dass jemand uns veranlassen will, zum roten Terror zu greifen.«
Ein wenig Beifall, Zacharias sah Nachdenklichkeit in manchen Gesichtern.
Liebknecht ergriff das Wort: »Unabhängig davon, ob dieser Anschlag nun stattgefunden hat oder nicht, ich bin schon seit jeher der Auffassung, dass wir die Konterrevolution, gleich welcher Prägung, unterdrücken müssen. Schon zur Selbsterhaltung. Insofern gebe ich dem Genossen Friesland recht, auch wenn mich seine Beweisführung wenig beeindruckt hat und sie offenbar mit den Tatsachen nicht übereinstimmt. Aber man kann ja auch mit falschen Argumenten zu einem richtigen Ergebnis kommen, nicht wahr, Genosse Friesland?«
Der guckte grimmig auf die Tischplatte.
»Das ist aber unser kleinstes Problem. Wenn wir hier einen neuen Kurs beschließen, dann müssen wir auch die Genossen der USP überzeugen. Sonst hat die Debatte keinen Sinn. Ich schlage also vor, dass die Zentrale die Regierungsmitglieder beauftragt, auf die Regierungsmitglieder der USP im genannten Sinn einzuwirken. Ich bitte auch die Genossin Luxemburg, sich der Mehrheit zu beugen.«
»Ich sehe noch keine Mehrheit!« rief sie dazwischen. »Und bevor wir abstimmen, habe ich noch eine Frage an den Genossen Zacharias: Können Sie den Anführer dieser Bande identifizieren, die in die Reichskanzlei eingedrungen ist?«
13
S
ie ging aufs Ganze, und das konnte nur daran liegen, dass sie eine Niederlage befürchtete. Und eine Chance sah, sie abzuwenden. Zacharias ärgerte sich, weil er Ermittlungsergebnisse preisgeben sollte, die da durch entwertet würden, denn wenn die Drahtzieher von Zacharias’ Verdacht erfuhren, würden sie sich wehren. Aber Rosa hatte recht. Wenn sie jetzt unterlag, würde es bald keine Untersuchungskommission und keine Ermittlungen mehr geben. »Die Untersuchungskommission« – er räusperte sich – »also, die Untersuchungskommission ist zu dem Ergebnis gekommen, dass es keine Freikorpssöldner, gleich welcher Farbe, gewesen sind, sondern Kämpfer aus unseren Formationen. Ob Rote Armee oder Miliz, wissen wir noch nicht.«
»Das ist ungeheuerlich!« donnerte Pieck dazwischen. Und er war nicht als einziger empört.
»Das ist in der Tat ungeheuerlich«, sagte Zacharias, und er sah Rosa lächeln. Ihr Schüler ließ sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Wer einmal ihr Schüler war, blieb es zeitlebens. »Der Anführer der Truppe war ein Genosse, der einwandfrei identifiziert wurde als Mitkämpfer bei der Schießerei in Lichtenberg. Es gibt dafür mehrere widerspruchsfreie Zeugenaussagen.« Er übertrieb, fand es aber notwendig.
»Dann ist das ein Überläufer«, sagte Friesland. »Nur mal vorausgesetzt, Ihre Zeugen sind nicht gekauft oder Teilhaber einer Verschwörung gegen die Revolution.«
»So kann man es natürlich auch sehen, Genosse Friesland«, sagte Rosa mit schneidender Stimme. »Man kann alle Facetten der Wirklichkeit, die einem nicht ins Bild passen, einfach tilgen oder für Traumgebilde erklären. Weil es ja nur so sein kann, wie man will, dass es ist. Aber dem Wolkenkuckucksheim des Genossen Friesland steht eine Wirklichkeit gegenüber, die sich beweisen lässt. Und es wäre doch viel sinnvoller, daraus Konsequenzen zu ziehen. Wenn man sich irrt, muss man die Lehre daraus ziehen. Und weil Sie sich ja als
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