Das Luxemburg-Komplott
Zacharias überlegte, was geschehen könnte, wenn sie den Anführer tatsächlich verhaften und verhören konnten.
Da klopfte es an der Tür. Er rief »Herein!«, und Sonja trat ein. Es überraschte ihn, und sie wusste es. Sie hatte sich zurechtgemacht. Er verglich sie mit Margarete und sah in ihrer Schönheit Margaretes Elend um so drastischer. Sonja hungerte nicht, sie hatte offenbar nie gehungert. Wie sie das schaffte, er wusste es nicht. Fast hätte er sie danach gefragt, aber er sagte nichts.
Sonja strahlte ihn an, als wäre nie etwas gewesen. Sie stellte sich so nah vor ihn, dass er sie hätte berühren können. Er fühlte sich starr.
»Ich soll dich schön grüßen vom Genossen Friesland. Er würde gerne mit dir reden. Mich lässt er ausrichten, Meinungsverschiedenheiten seien doch ganz natürlich unter Genossen. Er hat Bronski zurechtgestaucht, dass der keinen Unsinn nach Hause meldet.«
Was bedeutete das? Wollten sie ihn hereinlegen? Sie hatten doch die Mehrheit in der Partei, und wenn es so weiterging, würden sie bald die Führung übernehmen.
»Ich habe nichts dagegen, wenn der Genosse Friesland mich hier besucht. Du kannst es ja auch.«
»Bestimmt wird er dich hier bald einmal besuchen. Aber er will gerne privat mit dir sprechen. In einem Polizeipräsidium fühlt er sich nicht wohl.« Sie lachte, als hätte sie einen guten Witz erzählt.
Ob sie schon etwas wusste von ihrem möglichen Fahndungserfolg? Unmöglich, dachte er. Aber er würde Lohmeier fragen müssen, seit wann bekannt sein könnte, dass sie eine Spur hatten. Konnte es jemanden geben in der Kommission, der Frieslands Gruppe etwas steckte?
»Warum kommst du jetzt?« fragte er und war gleich wütend auf sich, weil er hätte wissen müssen, dass er so verriet, dass er Friesland verdächtigte.
»Warum heute, warum morgen?« sagte sie und schaute ihm in die Augen. »Ich dachte, du freust dich, dass ich dich besuche. Aber das war wohl ein Irrtum.« Sie war schnippisch, aber Zacharias ahnte, dass sie es nur spielte. Wahrscheinlich war ihr gesamtes Verhalten gesteuert von ihrem Auftrag. Und der konnte nur heißen, herauszubekommen, was Zacharias wusste, damit Friesland rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen konnte. Aber wenn Friesland fragte, verriet er auch, was ihn interessierte, und vielleicht konnte Zacharias daraus folgern, was Friesland plante. Also spiele ich das Spiel mal mit und tue so, als wünschte ich eine Versöhnung.
»Wir sollten in der Tat den Streit beenden. Offenbar hat der Genosse Friesland eine andere Auffassung von meinem Auftrag als ich. Das mag daran liegen, dass er vor mir nach Deutschland gekommen ist und nicht mehr mit Lenin oder Dserschinski sprechen konnte, nachdem sie mir meine Weisungen gegeben hatten. Sag dem Genossen Friesland, ich würde ihn aufsuchen, sobald meine Zeit es zulässt.«
»Heute abend«, sagte sie. »Bei mir zu Hause.«
Er begriff, das war eine Art Ultimatum, verpackt in ein reizendes Lächeln, das mehr versprach, als Sonja jemals halten würde. Es sei denn, sie hatte einen Auftrag. Auch wenn er es unterdrücken wollte, der Gedanke erregte ihn. Dummkopf, machst dich zum Affen deiner Lust.
Als Sonja gegangen war, wartete er. Er überlegte, ob er diesen Anführer nicht doch gesehen hatte in Lichtenberg. Dann klopfte es. Lohmeier eilte ins Zimmer. Er wischte sich Schweiß von der Stirn, obwohl er nur aus dem Nebenzimmer herübergeeilt war. »Er ist uns entwischt. Irgend jemand hat ihn gewarnt, sonst wäre er nicht entkommen. Aber wir haben einen Kumpanen von ihm gefangen, er hielt sich jedenfalls in der Wohnung dieses Burschen auf. Wir haben ihn mitgebracht. Wollen Sie mit ihm reden?«
Zacharias befahl, den Mann zu bringen.
Lohmeier rannte zurück in sein Zimmer und ließ die Tür offen. Gleich war er wieder da, seine Hand krallte sich in die Schulter eines Mannes mit einer Schirmmütze im Hamburger Stil. Er stieß den Mann auf den Stuhl vor Zacharias’ Schreibtisch und stellte sich hinter ihn, jederzeit bereit, den Verdächtigen zu schlagen.
»Nun bleiben Sie ruhig«, sagte Zacharias betont gelassen. Dann erkannte er den Mann, es war ein Kämpfer aus Lichtenberg. Der erkannte nun auch Zacharias. »Sieh an, Genosse«, sagte er.
Zacharias bat Lohmeier hinaus. Er solle einen Mann vor die Tür stellen, falls der Genosse Anstalten mache, sich einem freundlichen Gespräch zu entziehen. Lohmeier verbarg seine Enttäuschung nicht, als er ging.
»Mit solchen Figuren arbeitest du also zusammen«,
Weitere Kostenlose Bücher