Das Luxemburg-Komplott
los. Wer anfängt mit dem Morden, der muss immer wieder töten.«
Zacharias wusste es. Aber sein Verstand wehrte sich. Es konnte doch nicht sein, dass die Menschen diese Chance nicht ergriffen, sich selbst zu befreien von Ausbeutung und Krieg. »Aber wir können doch nicht einfach abtreten.«
Sie lachte los, aber das Lachen war bitter. »Das verhindere die Zentrale, die längst an die Stelle aller Götter getreten ist. Liebknecht und Pieck, Friesland vorneweg, sie wollen losschlagen, aber im Gegensatz zu Russland können sie das nicht einfach so. Heute abend noch ist Sitzung der Regierung, da werden die Fetzen fliegen.«
Jogiches zündete sich eine neue Zigarette am Stummel der letzten an. »Wie ich höre, arbeiten die Moskowiter schon in der USP. Vereinigung unter dem Banner der Internationale, das ist die Parole. Man munkelt, diese Fraktion gewinne die Mehrheit und auf dem nächsten Parteitag würden alle ausgeschlossen, die sich nicht der neuen Linie unterwürfen.«
»Lenin hat das geschickt eingefädelt.« Rosa lächelte. »Er betreibt die Einmischung nicht über die Partei, sondern über die Internationale, in der die Bolschewiki das Kommando haben. Der Genosse Eberlein hat da genug berichtet aus Moskau.«
»Wenn Sie gestatten«, sagte Zacharias.
Beide blickten ihn an, fast schienen sie erstaunt, dass er noch da war.
Jogiches nickte.
»Es gibt jetzt wirklich einen Mordplan gegen die Genossin Luxemburg …«
»Das wissen wir«, sagte Rosa. »Aber wir haben jetzt Wichtigeres …«
»Ich soll Sie ermorden. Sie haben tatsächlich mich ausgesucht.«
Wieder blickten ihn beide an. »Wie bitte?« fragte Jogiches.
»Ja, ich bin der Mörder.« Dann erzählte er von Bronskis letztem Besuch. »Ich habe vierzehn Tage Zeit, jetzt sind es fast nur noch dreizehn. Die Zeit läuft ab.«
»Und wer steckt nun dahinter?« Jogiches mühte sich, ruhig zu bleiben.
»Die Internationale, Sinowjew. Aber ich nehme an, dass das abgesprochen ist. Sinowjew würde sich nie trauen, so etwas ohne Beschluss des Zentralkomitees anzuordnen. Und gewiss ist es mit der Tscheka verabredet.«
»Dann ermorden Sie mich bitte nicht«, sagte Rosa. »Später vielleicht.« Sie lächelte.
»Wenn ich es nicht tue, bekommt ein anderer den Auftrag. Und ich werde als Deserteur gejagt.«
»Wer?« Jogiches starrte Zacharias an.
»Irgendeiner, der leichten Zugang hat zur Genossin Luxemburg. Irgendeiner, dem es keiner zutraut. Vielleicht der Genosse, der sie beschützen soll. Vielleicht der Bote, der ihr eine Nachricht bringt. Vielleicht Mitglieder einer Arbeiterdelegation. Vielleicht eine Genossin aus dem Ausland, eine gute alte Genossin.«
»Dserschinski«, sagte Rosa nur. Es klang wie: Er doch nicht, das ist unmöglich. »Lenin«, sagte sie noch. Dann: »Trotzki.«
»Lenin ist krank seit dem Attentat, vielleicht weilt er zur Kur und weiß nichts. Trotzki schwebt über den Dingen. Ob er mitmacht, keine Ahnung. Aber Dserschinski, der ist eingeweiht, wenn er nicht selbst der Urheber ist und Sinowjew angestiftet hat.«
»Warum?« fragte Jogiches.
»Er gehorcht der Notwendigkeit der Geschichte, so jedenfalls wird er es sehen. Ich habe mit ihm gesprochen, kurz bevor ich nach Deutschland zurückgekehrt bin. Die Bolschewiki stehen mit dem Rücken an der Wand. Wir sind ihre Hoffnung. Aus ihrer Sicht ist es unsere Pflicht, zu siegen. Der Grund, dass wir einer Niederlage entgegengehen, heißt Luxemburg.« Er entschuldigte sich mit einem Blick bei Rosa.
»Das brauchen Sie mir nicht mehrmals zu erklären, ich habe es schon beim ersten Mal begriffen. Und nun, Leo?«
»Wenn sie ein Mordkommando schicken, werden sie vielleicht Erfolg haben. Du hast noch knapp zwei Wochen Zeit.«
»Für was, Leo? Zwei Wochen für was?«
Sein Blick senkte sich auf den Boden.
»Den Kotau zu machen. Das meinst du doch? Zur Leninistin zu werden.« Sie legte Verachtung in das Wort Leninistin. »Eine Diktatur zu errichten, wie sie Friesland und Konsorten wollen. Das würde mir den Kopf retten, nicht wahr? Da würden sie jubeln.« Sie war aufgestanden und lief ziellos umher. Einmal stampfte sie mit dem Fuß auf. »Dieses Pack, ich habe ihnen nie getraut. Wir hätten längst eine Mauer errichten müssen zwischen denen und uns. Zacharias, sagen Sie etwas. Was sollen wir tun?«
Er hatte die Frage gefürchtet. »Wenn Sie überleben wollen, dann verstecken Sie sich. Ich helfe Ihnen, ich werde Sie beschützen. Vielleicht inszenieren wir Ihren Tod, dann haben Sie eine Weile
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