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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Ditfurth
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Ende. Die Gewaltfraktion siegte, und er gestand sich ein, ohne Terror würde die Revolution weiter zerfallen. Aber mit Gewalt würde die Revolution erstickt durch ein Regime von Führern, die zu wissen glaubten, was die Geschichte und das Proletariat von ihnen verlangten. Die sich als historisches Werkzeug betrachteten und sich so ins Recht setzten, Opfer zu fordern, nicht für sich natürlich, sondern für die Zukunft, die sie in gleißenden Farben malten, um die Trübnis der Gegenwart zu überpinseln. Es war dieser Augenblick, in dem Zacharias das ganze Unglück erkannte, das er und seinesgleichen über die Welt gebracht hatten. Ein Unglück in bester Absicht, begründet durch eine überlegene Moral, im Besitz der geschichtlichen Wahrheit, Vertreter einer Klasse, die alle Klassenunterschiede und alle Ausbeutung aufheben würde ein für allemal. Alle, die in diesem Raum saßen, träumten diesen Traum. Sonja. Er sah, wie sie ihn anblickte über den langen Tisch hinweg. Sie hatte große schöne Augen, und was immer sie getan hatte, es diente der Utopie, die sie alle herbeisehnten. Je schöner die Utopie, je mehr sie anderes überstrahlte, desto mehr rechtfertigte sie.
    Wie mochte es abgelaufen sein? Hatten Friesland und seine Genossen den Freikorps den Tip gegeben, weil sie Rosa loswerden wollten, aber sich selbst nicht trauten? Hatten sie nach dem Misslingen des Anschlags in Dahlem beschlossen, keine halben Sachen mehr zu machen, sondern den Mord selbst zu organisieren? Hatten sie sich gestritten, untereinander oder mit Moskaus Boten? Ging es einigen zu weit, drängten andere darauf, es sofort zu tun? Wie lange hatte es gedauert, bis sie alle sich dazu durchgerungen hatten, es müsse nun getan werden?
    So, wie Sonja ihn anschaute, bildete er sich ein, auch sie wusste von dem Mordauftrag an ihn. Du hast keine zwei Wochen mehr, glaubte er in ihren Augen zu lesen. Du musst es so aussehen lassen, als wären es die Freikorps gewesen. Das ist der letzte Dienst Rosas für die Revolution. Aber dann lachte er sich innerlich aus. Seit wann kann man in den Augen eines Menschen lesen, was er denkt? Und seit wann könntest du es?
    Sie neigte sich zu ihm, er hatte sie nicht gesehen. »Aufwachen, Genosse Zacharias«, sagte Rosa. Sie lächelte, und er fand es der Lage nicht angemessen. »Sie hatten recht«, flüsterte sie. »Hier ist kein Blumenpott mehr zu gewinnen. Heißt es Blumenpott? Ja, nicht? Wir sehen uns nach der Sitzung, hoffentlich ist das Geschwätz bald vorbei. Und dann machen wir Nägel mit Köpfen. So heißt das doch?« Sie legte ihm kurz die Hand auf die Schulter. Dass sie zitterte, merkte er erst jetzt. Sie setzte sich wieder auf ihren Stuhl, schob den Aktenstapel vor sich hin und her, tat so, als hörte sie nicht zu. Sie war im Geist schon woanders. Vielleicht in Zürich.
    Zacharias suchte Jogiches, den hatte er am Anfang der Sitzung kurz gesehen, dann war er verschwunden. Jogiches, der legendäre Organisator, dem nie das Geld fehlte, plante er schon die Flucht?

17
    Z
    ürich?«
    Jogiches nickte. »Wohin sonst?«
    »Das ist so, als wäre alles umsonst gewesen. Aus Zürich wollte ich weg, nach Deutschland, wo damals die stärkste Arbeiterpartei der Welt so kurz vor der Revolution zu stehen schien. Wo Bebel und Kautsky arbeiteten, woher Marx und Engels stammten. Und nun also wieder zurück?«
    Sie sagte es eher vor sich hin in ihrem Zimmer in der ehemaligen Reichskanzlei, die immer noch keinen neuen Namen hatte. Jogiches stand am Fenster, rauchte und schaute in die Nacht. Zacharias saß auf dem Sofa und fühlte sich zerschlagen. Natürlich, sie waren gescheitert. Wenn Revolution nur mit Gewalt möglich war, mit Gewalt gegen jene, welche die Revolutionäre zur führenden Klasse ausgerufen hatten, ja, dann waren sie gescheitert.
    »Wir haben viel falsch gemacht, Rosa. Vor allem haben wir unsere Ideale in die Arbeiter hineingedacht.«
    »Ach, Leo. Dann haben wir umsonst gelebt.«
    Sie schwiegen. Jogiches blies den Rauch gegen die Scheibe, an der er hochkroch, um sich endlich an der Decke auszuweiten.
    »Sie können nirgendwo anders hin«, sagte Zacharias mehr, um das Schweigen aufzubrechen. »Die Entente nimmt Sie nicht, die Österreicher trauen sich nicht, die Polen würden Sie verhaften und wahrscheinlich ermorden. Die anderen Staaten im Osten sind unter Kontrolle Frankreichs. Dänemark, überhaupt die Skandinavier wollen keinen Ärger mit der Entente. Nur die Schweiz, die nimmt politische Flüchtlinge auf. Meistens

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