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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Ditfurth
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Sozialistengesetze gegen die Obrigkeit gekämpft.«
    »Ich habe nur eins und eins zusammengezählt.«
    »Nein, nein. Das Leben ist keine Mathematik, Genosse Zacharias. Und wenn, dann eine Gleichung mit mehreren Unbekannten. Gerade wenn Dinge so eindeutig aussehen …«
    »Dann bleibe nur ich übrig als Verräter. Ich war in beiden Fällen dabei.«
    Jogiches lachte verkrampft. »Soweit kommt’s noch, dass wir uns selbst verdächtigen. Manchmal sind wir schlimmer als die spanische Inquisition. Ich kenne Sonja seit vielen Jahren, Rosa kennt sie noch länger. Sie hat bei ihren Eltern schon übernachtet auf einer Wahlkampfreise. Sonja ist wegen ihr von Köln nach Berlin gekommen. Und die soll spitzeln?«
    »Nein, das tut sie nicht«, sagte Rosa mit schneidender Stimme. Sie stand in der Tür. »Es ist, wie Leo sagt. Es gibt noch mindestens eine Unbekannte.«
    Zacharias spürte, es war zwecklos, weiter zu diskutieren. Vielleicht war er ja wirklich übermisstrauisch, ein Erbe seiner Zeit bei der Tscheka.
    »Wo finde ich den Genossen Pieck?« fragte er.
    Jogiches rieb sich die Augen. »Ich weiß es nicht. Kann sein, dass er gar nicht mehr in Berlin ist. Vielleicht ist er in Leipzig, dorthin ist die Redaktion der Roten Fahne gezogen, jedenfalls die, die von ihr übrigblieben. Aber so weit können wir Sie nicht reisen lassen. Sie müssen auf die Genossin Luxemburg aufpassen. Ihre einzige Chance ist, ihn zu Hause anzutreffen. Aber das ist gefährlich. Wenn Pieck nicht verhaftet ist, wird seine Wohnung überwacht.«
    Zacharias hätte fast geantwortet, das kenne er schon. Er ließ sich Piecks Adresse geben, wusch sich das Gesicht und ging los. Zuvor vereinbarte er noch ein Erkennungszeichen mit Jogiches: viermal kurz, einmal lang.
    Die Sonne schien, aber sie wärmte nicht. Zacharias schlug den Kragen hoch gegen die Kälte. Er pfiff leise »Kaiinka« vor sich hin, er kannte es von den Wachmannschaften im Kriegsgefangenenlager. Hin und wieder schaute er sich unauffällig um, niemand folgte ihm. Menschen eilten zur Arbeit, an Straßenecken lungerten Soldaten herum, Krüppel bettelten. Zacharias war müde, er zwang sich, aufmerksam zu bleiben.
    An einem Postamt zögerte er, dann stieg er die Treppen hinauf und ging hinein. Er schaute sich um, fand aber kein Telefonbuch. Er stellte sich in die Schlange vor dem Schalter. Die Leute erschienen ihm dumpf. Sie schwiegen und schlurften ein, zwei Schritte nach vorn, wenn ein Kunde bedient war und das Amt verließ. Als er dran war, fragte er nach der Telefonnummer von Mandereit. Er hatte Glück, Sonja hatte ein Telefon. Der Beamte am Schalter schrieb ihm auch die Adresse auf: Schöneberg, Lutherstraße 16.
    Es war nur vier Stationen mit der Untergrundbahn vom Sophie-Charlotte-Platz zum Wittenbergplatz. Zacharias änderte seinen Plan, Pieck musste warten. Die Lutherstraße war nicht weit entfernt vom U-Bahnhof Wittenbergplatz. Zacharias ging die Straße hinunter, er fand gleich das Haus mit der Nummer 16. Im Keller hatte ein Schuhmacher seine Werkstatt, in den sechs Stockwerken darüber wohnten Mieter. Außen, neben der Tür, waren elektrische Klingeln angebracht. Auf dem zweiten Namensschild von oben stand »Mandereit«.
    Er ging ein Stück weiter und überlegte, von wo aus er den Eingang überwachen könnte. Da sah er die Kneipe schräg gegenüber, sie hieß Zum Droschkenkutscher. Sie war geöffnet, aber ohne Gäste. Er nahm sich an der Garderobe einen Lokal-Anzeiger und setzte sich ans Fenster. Als der Wirt erschien, bestellte er ein Frühstück mit Tee.
    Vielleicht war Sonja schon außer Haus, dann hatte er Pech. Aber er wollte sehen, ob sie verdächtigen Besuch bekam oder jemanden aufsuchte, den er überprüfen konnte. Oder er fand heraus, dass sie einen besonders geschickten Schatten hatte. Das würde ihn erleichtern, es würde aber auch bedeuten, dass er den Verfolger nicht erkannt und abgeschüttelt hatte, als er mit ihr unterwegs war. Ihn träfe dann eine Mitschuld an Radeks Verhaftung und der Schießerei in Dahlem.
    Darüber berichtete der Lokal-Anzeiger in großer Aufmachung. Eine Horde von Russen habe Rosa Luxemburg und den litauischen Juden Jogiches vor der Festnahme durch Regierungstruppen bewahrt. Sie hätten wild um sich geschossen und ein Blutbad unter anständigen deutschen Soldaten angerichtet. Illustriert war der Artikel mit Bildern von Luxemburg und Jogiches.
    Eine Frau brachte das Frühstück. Es war kümmerlich, zwei Scheiben Graubrot, Margarine, eine undefinierbare

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