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Das Luxemburg-Komplott

Das Luxemburg-Komplott

Titel: Das Luxemburg-Komplott Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christian von Ditfurth
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wenn er diese Entscheidung bereuen sollte.«
    »Das versteh ich nicht. Wenn man Falsches tut und es erkennt, dann muss man das Richtige tun. Das ist doch ganz einfach.«
    »Gewiss«, erwiderte Zacharias. Dann schwieg er.
    Sie schaute ihn noch einmal an, aber sie fragte nicht.
    Sie hält mich für verwirrt, dachte er. Das mag gar nicht falsch sein.
    »Soll ich bei dir bleiben heute nacht?« fragte Margarete.
    Er drückte ihren Arm.
    Sie gingen, bis Margarete sagte: »Ich friere.« Sie fror schon lange.
    Zurück im Haus, blieb er einen Augenblick stehen vor der Tür zum Schlafzimmer der Eltern. Aber dann ging er doch nicht hinein.
    Sie zwängten sich in sein schmales Bett und deckten sich mit einer Decke zu. Nur langsam breitete sich Wärme aus. Sie streichelte seine Hand unter der Decke, während er mit offenen Augen in die Dunkelheit starrte.
    »Meine Eltern werden auch bald sterben«, sagte sie. »Wenn es nicht bald mehr zu essen gibt. Sie liegen fast den ganzen Tag im Bett, weil sie schwach sind und weil es dort warm ist. Wenn man nichts mehr auf den Rippen hat, friert man immer. Ich hatte früher so etwas wie eine Figur, heute bin ich ein Knochengestell.«
    »Wir werden bald mehr zu essen haben«, sagte Zacharias. »Die Russen werden etwas schicken. Sie opfern die eigenen Leute, damit wir siegen.«
    Dann hörte er, wie ihr Atem ruhig wurde. Ihre Hand lag in seiner. Er starrte an die Decke, die er nicht sah. Zacharias wunderte sich über seine Gefühllosigkeit. Du bist nun allein. Was mit Margarete ist und wird, ich weiß es nicht. Du kommst aus Russland zurück und hast keine Familie mehr. Aber in Russland, wie oft hast du da an sie gedacht? Da war das Zuhause eine ferne Welt.
    Er zwang sich, an die Jahre vor dem Krieg zu denken, aber es waren ihm fast fremde Bilder. Nun, was dir fremd ist, belastet dich nicht. Je weniger dich in die Vergangenheit zieht, desto freier kannst du voranschreiten. Jetzt denkst du schon so, wie andere auf Versammlungen reden.
     
    *
     
    Als er am Morgen aufwachte, begriff er, seine Mutter war tot. Es erschreckte ihn nicht. Margarete lag nicht mehr neben ihm. Er stand auf und ging in die Küche. Schon im Flur hörte er, wie sie mit dem Kessel hantierte. Sie wandte sich nicht um, als er die Küche betrat. Sie sagten sich Guten Morgen, er setzte sich an den Tisch, auf dem zwei Teller, Messer und Tassen standen. Fast schien es ihm, dass sie schon immer da gewesen wäre. Sie aßen schweigend, dann sagte sie: »Du musst zum Bestatter, oder soll ich das übernehmen? Bei uns in der Fabrik gibt es keine Arbeit, schon ein paar Tage nicht mehr.«
    »Bitte mach du es.«
    Sie nickte.
    Er küsste sie auf den Mund, als er fortging. Auf dem Weg fielen ihm Bronski und dessen mörderische Schlussfolgerungen ein. Wenn man es sah wie er, dann erschien alles Weitere unausweichlich. Aber seine Folgerungen beruhten auf einer Voraussetzung, die willkürlich gewählt war, nämlich dass die Partei nur auf bolschewistischem Weg an die Macht kam. Die Revolution in Deutschland verlief aber anders, die Massen erhoben sich aus Empörung über Eberts Verrat. Dem konnten sie nicht nachträglich ein bolschewistisches Etikett aufkleben. Es musste die Bolschewiki in Moskau mindestens irritieren, dass in Berlin eine spontane Massenbewegung die Linksparteien an die Macht gebracht hatte, ganz so, wie es Rosa immer wieder beschrieben hatte.
    Im Reichstag war Trubel. Menschen rannten hin und her, manche riefen etwas, man musste aufpassen, nicht über Leute zu stolpern, die auf dem Boden lagen oder an der Wand lehnten und schliefen. Zacharias zog es zu dem Raum hinter dem Rednerpult im Plenarsaal. Es stand kein Posten davor, und im Zimmer fand sich niemand außer zwei Männern, die sich Stühle zu provisorischen Betten zusammengeschoben hatten. Sie rochen ungepflegt.
    »Wo sind die Volkskommissare?« fragte Zacharias.
    »Wilhelmstraße«, sagte einer der beiden Männer.
    »Reichskanzlei?«
    »Wahrscheinlich.«
    Zacharias verließ den Raum und machte sich auf den Weg zur Reichskanzlei. Unterwegs strömten ihm Menschen entgegen. Einer schrie hysterisch: »Ein Mordanschlag! Auf Rosa! Schlagt die Reaktionäre tot!«
    Ein anderer zerrte am Mantel des Mannes. »Und was ist mit ihr? Lebt sie?«
    »Alle tot! Alle tot!« schrie der Mann.
    Jetzt erst sah Zacharias, der Mann hatte Blutflecken am Mantel und eine Verletzung am Kopf. Zacharias rannte los in Richtung Reichskanzlei. Davor stand ein Sanitätswagen, darum scharte sich eine

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