Das Luzifer Evangelium
Armageddon könnte durchaus aus Luzifers Evangelium stammen.«
»Was ist denn nun eigentlich 325 mit der Handschrift beim Konzil von Nicäa passiert?«
»Ein zentrales Anliegen der Bischöfe und Kirchenväter war die Ketzerei, im Grunde nur ein anderer Begriff für Andersdenkende. Das Konzil von Nicäa war eine der ersten Zusammenkünfte, bei der die christliche Kirche als Kollegium auftrat. Die Bischöfe wollten alle Tendenzen abweichender Glaubensrichtungen niederschlagen. Den Arianismus etwa, der die Ansicht vertrat, dass Jesus nicht so göttlich wie Gott selbst war. Auch die Gnostiker mussten bluten. Und ganz nebenbei wurde beschlossen, den alten Text Prophetien des Lichtengels zu vernichten. Zu verbrennen. Als symbolische Handlung.«
»Aber dazu kam es nicht?«
»Was genau geschah, weiß keiner so richtig, denn offenbar ist die ganze Handschrift erhalten, zumindest aber Teile davon.«
»Woher wissen Sie das?«
»Ich stütze mich auf Referenzen und Zitate aus Schriften jener Zeit. Im Laufe der Geschichte zirkulierten in unterschiedlichen religiösen Kreisen kurze Fragmente, angeblich Abschriften einzelner Abschnitte. Aber erst 1970 tauchte – angeblich! – ein Teil der Handschrift in Ägypten auf. Leider verschwand er noch im selben Jahr, zusammen mit Giovanni Nobile, der ihn nach Rom geholt hatte, um ihn dort zu untersuchen.«
»Aldo Lombardi zufolge weiß bis heute niemand, wo der Professor oder die Handschrift abgeblieben sind.«
»Ich kenne die Geschichte. Een tragedie . Er wurde von extremen religiösen Fundamentalisten umgebracht.« Van Risjewijk richtete sich auf. »Und was haben Sie jetzt vor?«
»Irgendwo muss es eine Erklärung für das alles geben. Die Handschrift. Die Morde. Ich werde weitermachen, bis ich herausgefunden habe, worum es geht. Ich hoffe, Aldo Lombardi kann mir helfen.«
»Aldo ist der Mensch, der vermutlich die meisten Hintergrundinformationen zu Luzifers Evangelium hat.« Er hustete. Klirrend, rasselnd. »Bjørn, würden Sie mir einen Dienst erweisen? Darf ich Ihnen ein Angebot machen?«
»Was für ein Angebot?«
»Ich möchte, dass Sie Monique mitnehmen.«
Schwer zu sagen, wer von uns überraschter war. Monique stieß einen Kehllaut aus, setzte sich auf die Bettkante und schrieb hastig etwas auf ihren Block. Dirk schüttelte den Kopf. Sie legte die Hand auf seinen Unterarm und drückte ihn.
»Monique?«, wiederholte ich, als ich meine Fassung wiedererlangt hatte.
»Um mit Ihnen zusammenzuarbeiten.«
»Aber – warum?«
»Sie ist eine hervorragende Hilfe, glauben Sie mir, ich kenne sie!«
»Zusammenarbeiten?«, fragte ich, um Zeit zu gewinnen, und versuchte, das Angebot zu verdauen.
»Als Ihre Helferin, Assistentin, medwerker , nennen Sie es, wie Sie wollen.«
Es widerfuhr mir nicht jeden Tag, dass ein älterer Mann mir seine jüngere Ehefrau aufdrängte. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Ich will nach Paris, Carcassonne und Rom«, murmelte ich ausweichend.
»Auch dort kann Monique Ihnen sehr nützlich sein. Sie kennt sich gut aus.«
»Mit dem Auto!«
»Monique ist eine erfahrene Autofahrerin.«
»In einem winzigen 2 CV !«
»Beltø … Nehmen Sie sie mit? Ich bitte Sie. Nehmen Sie mein Angebot an?«
Ich schaute von Dirk van Rijsewijk zu Monique, die wieder etwas schrieb. Er las es kommentarlos. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Ich arbeite am liebsten alleine. Aber es gereichte Monique auf jeden Fall zu ihrem Vorteil, dass ich von Anfang an von ihr eingenommen war.
»Bjørn?«
»Selbstverständlich«, rutschte es mir heraus. » Of course. «
Und so trat Monique in mein Leben.
5
Kleine Jungen, die zu viel Zeit in der betrüblichen Gesellschaft ihrer eigenen Einsamkeit verbringen, tun alles, um die endlosen Minuten der Langeweile zu füllen. Die einen fahren Rad. Andere lesen. Heutzutage geben sie sich Computerspielen und den Verlockungen des Internets hin.
Mich haben Magnete fasziniert.
Magnete haben etwas Magisches, Mystisches. Magnete sind von einem Kraftfeld umgeben, das anzieht und abstößt, uns Menschen nicht unähnlich. Von meinem zehnten Lebensjahr an, bis ich vollkommen unfreiwillig in das Ränkespiel der Pubertät hineingezogen wurde, war ich an meiner Schule der absolute Experte für die physikalischen Gesetze des Magnetismus. Ich konnte unverständliche Gleichungen an die Tafel malen wie F = qv x B und allen, die es interessierte oder auch nicht, einen Vortrag über die Mysterien des Elektromagnetismus und das
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