Das Luzifer Evangelium
Vorkommen natürlicher Magnetitadern halten. Mein Feuereifer stieß bei meinem Naturkundelehrer auf fruchtbaren Boden, genau wie bei ein paar verblendeten Jungs, doch damit war es auch schon getan. Zu Hause, unter meinem Bett, hatte ich ein stetig wachsendes Lager an Magneten, die teilweise kaum noch voneinander zu trennen waren. Dauermagnete, Elektromagnete, Hufeisenmagnete, Kühlschrankmagnete, magnetische Steine und Industriemagnete, die ich aus Lautsprechern, Mikrofonen und Elektromotoren ausgebaut hatte. Später (nicht nur in der Nervenklinik) habe ich viel darüber nachgegrübelt, ob es einen tieferen Sinn für meine Faszination gab, die weit über die Begeisterung hinausreichte, die unsichtbaren Kräfte der Natur zu erkennen und regelrecht zu spüren. Ich habe keine Antwort gefunden und kam zu dem Schluss, dass sinnlose Dinge – wie meine Begeisterung für den Magnetismus – meinem Leben eine Perspektive gaben.
XII : Die Spinne
PARIS
6. – 7. JUNI 2009
1
Ich verließ Amsterdam am nächsten Vormittag und reiste weiter nach Paris, versunken in einem Sumpf unbeantworteter Fragen und unterdrückter Angst, zusammen mit meiner neuen Reisebegleitung Monique, die wie eine Sphinx auf dem Beifahrersitz neben mir saß. Sie hatte Strickzeug mitgenommen, das lange Phasen ihre komplette Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Bis jetzt fand ich es noch ganz angenehm, Gesellschaft im Auto zu haben, aber es wäre einfacher gewesen, wenn sie nicht stumm gewesen wäre. Hin und wieder versuchte ich, eine Art Unterhaltung in Gang zu bringen, aber bei hundert Stundenkilometern war es nicht ganz ungefährlich, ihre Antworten zu lesen. Schneller fuhr mein Auto nicht. Auch nicht auf der Autobahn. Oder bergab. Mit Rückenwind. Bolla ist ein Citroën 2 CV , eine Blechdose auf vier Rädern, mit Gummimotor und einem Dach, das ich wie eine Sardinenbüchse aufrollen konnte.
Monique hatte einen Haufen Gepäck dabei. Ich meine: unglaublich viel Gepäck. Wie eine feine Dame, die nicht gerne zu Galadiners, Rockkonzerten, Karneval-oder Schlafanzugpartys eingeladen werden wollte, ohne eine gewisse Auswahl zur Verfügung zu haben. Bolla war nicht übermäßig geräumig, verfügte aber glücklicherweise über eine Rückbank. Dort hatte ich Moniques Feldvorräte an Koffern, Reisetaschen, Beuteln und Tüten verstaut. Zuunterst lag mein Koffer mit ein paar Kleidern zum Wechseln und einer Kulturtasche mit Zahnpasta, Zahnbürste, Deo und einer Packung Gummis, deren Verfallsdatum wahrscheinlich längst überschritten war.
An einer Tankstelle vor Antwerpen machten wir Rast und setzten uns mit einem Kaffee und einem Käsebaguette an einen Resopal-Tisch, umringt von lärmenden Familien mit kleinen Kindern und übergewichtigen Lastwagenfahrern. Wir zogen viele Blicke auf uns. Monique sah aus wie die hinreißende Gattin eines soignierten Botschafters, wobei ich bestenfalls als dessen Lakai durchging. Auf der Flucht mit der treulosen Frau seines Dienstherren.
Monique schlug den kleinen Notizblock auf, der ihre Stimmbänder ersetzte. » Waarom een auto? «, schrieb sie, lachte tonlos und strich den Satz durch, um noch einmal zu schreiben: »Warum ein Auto? Warum nicht mit dem Flugzeug?«
»Weil sie die Passagierlisten überwachen!«
Das klang vollständig paranoid, selbst in meinen Ohren. Monique hakte nicht nach, nickte nur verständnisvoll, als würde sie mitspielen oder wäre bereits Teil meines Wahns geworden, dann wischte sie einen Krümel weg, der an ihrer Oberlippe klebte.
2
Wir erreichten Paris am späten Nachmittag und bekamen die letzten Einzelzimmer in einem heruntergekommenen Hotel in Clichy. Ich parkte zwischen einem BMW und einem koksgrauen Mercedes. Bolla ist rosa mit schwarzen Punkten.
Nach einer Dusche und einer kurzen Ruhepause trafen wir uns an der Rezeption. Monique hatte sich geschminkt, Kinn und Stirn gepudert und Augen und Lippen betont, als hätte sie Angst zu vergessen, wie sie aussah. Ihre von einem silberschimmernden Kleid umschmeichelte Figur und das hochgesteckte Haar erinnerten mich an einen Filmstar, an deren Namen ich mich nicht erinnerte.
»Ich wusste ja gar nicht, dass Sie schon einen Stab Kammerzofen vorweggeschickt haben«, sagte ich.
Sie streckte mir die Zungenspitze raus.
»Sie sehen blendend aus!« Ich umarmte sie. Sie duftete exklusiv. Ihr Lächeln und ihr Blick hatten etwas Verspieltes.
Wir spazierten in das nächste Restaurant und bekamen einen Tisch für zwei Personen an einem Fenster, das auf die Straße
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