Das Luzifer Evangelium
irgendwann bei ihr abholen und bei einem Glas Wein mit ihr darüber lachen.
Wo fange ich am besten an? Wie Du weißt, unterstütze ich seit einigen Jahren ein Paar in Amsterdam mit Recherchen und Untersuchungen und hin und wieder praktischen Gefälligkeiten und Botengängen. Keine Angst, es geht nicht um Drogen, sondern um alte Bücher, Briefe, Handschriften, Manuskripte. Die beiden sind einfach fantastisch. Sympathisch, klug – und überhaupt. Er heißt Dirk van Rijsewijk, sie Monique. Und wenn Du das hier liest, muss ich Dich bitten, telefonisch Kontakt mit ihnen aufzunehmen (+31 76 522 81 51), um ihnen mitzuteilen, dass mir etwas zugestoßen ist. Ich habe Dirk und Monique über das Internet kennengelernt. Am Anfang habe ich in einem öffentlichen Forum mit Monique kommuniziert, aber als ich anfing, sie bei ihrer Arbeit zu unterstützen, haben wir unsere E-Mails verschlüsselt geschrieben.
Die Hintergrundgeschichte ist folgende: Anfang diesen Jahres wurde in einer Katakombe in Kiew eine Handschrift entdeckt. Sie wurde aus der Ukraine nach Norwegen geschmuggelt. Vor einigen Tagen bekam ich eine Mail von einem Autor aus Oslo, Christian Keiser. Er war auf der Suche nach Dirk und hatte mitbekommen, dass man Dirk am besten über mich erreicht. Er schrieb, er habe Zugriff auf das Exemplar einer Handschrift, in dem ein Triquetra-Symbol und die Zeichnung eines Pfaus vorkommen. Da er in etlichen von Dirks Artikeln über religiöse Ikonografie auf diese Symbole gestoßen war, wollte er sich ratsuchend an Dirk wenden. Wir mailten einige Male hin und her. Er erwähnte, dass er mit einem Archäologen namens Bjørn Beltø zusammenarbeitete, der mir namentlich bekannt ist, also habe ich die Mails an Dirk weitergeleitet. Dirk war Feuer und Flamme und bat mich, Keiser so bald wie möglich nach Amsterdam einzuladen. Gestern Morgen habe ich versucht, ihn unter seiner Osloer Telefonnummer zu erreichen. Er ging nicht ran. Da war er wahrscheinlich schon tot. Ja, jemand hat ihn umgebracht, Papa! Sein Freund Bjørn Beltø hat ihn tot in seiner Wohnung gefunden. Aber von alldem ahnte ich noch nichts, als ich ihn anrief. Ich war so dumm, meinen Namen und meine Handynummer auf dem Anrufbeantworter zu hinterlassen. Was, wenn die Mörder sich gerade in seiner Wohnung aufhielten und meine Nachricht missverstanden haben? Ich habe versucht, Bjørn Beltø zu erreichen, um ihn zu warnen, aber sein Handy ist ausgeschaltet.
Später am Nachmittag hat Dirk mich angerufen. Durch ihn habe ich erfahren, dass man den Autor Christian Keiser ermordet in seiner Wohnung gefunden hat. Es war äußerst ungewöhnlich, dass Dirk mich anrief – unser Kontakt fand sozusagen ausschließlich übers Internet statt. Er machte sich Sorgen um mich und schlug mir vor, irgendwo anders als zu Hause zu übernachten. Also habe ich Pierre angerufen und bei ihm geschlafen. Was gut war. Nachts ist nämlich in meinem Zimmer eingebrochen worden.
Ich kann mir schon denken, wer das war. Der Hausmeister meinte, das Zimmer sei völlig auf den Kopf gestellt worden. Ich habe noch nicht den Mut gehabt, dorthin zu fahren.
Etwas später klingelte mein Handy. Das waren sie. Die Mörder. Ich bin mir ganz sicher.
Marie-Élise Monnier?, fragte eine Männerstimme mit einem osteuropäischen Akzent.
Ja? Wer ist da?, fragte ich zurück.
Dann hörte ich ein Klicken und ein Piepsen.
Im nächsten Moment war die Stimme wieder da. Wir müssen uns treffen, sagte er. Sie sind im Besitz von etwas, das uns gehört.
Was soll das sein?, fragte ich.
Wann und wo können wir uns treffen?
Ich glaube nicht, dass ich Sie treffen will, habe ich gesagt und das Gespräch beendet. Ein unangenehmer Kerl. Gleich darauf klingelte es wieder. Und wieder habe ich das Gespräch beendet. Als es zum dritten Mal klingelte, habe ich gar nicht mehr geantwortet.
Ich habe die Polizei informiert. Aber die hat mich nicht ernst genommen. Da habe ich beschlossen, Simonetta zu besuchen. Seit zwei Jahren reden wir davon, dass ich mal wieder zu ihr kommen soll. Dabei ist es geblieben. Doch jetzt habe ich einen guten Grund, mein Versprechen in die Tat umzusetzen. Sie wohnt weit genug weg, dass sie mich nicht bei ihr finden werden.
Der Zug ist bald da. Ich habe ein wenig geschlafen. Simonetta habe ich noch nicht erreicht, aber sie kann nicht weit sein. Im schlimmsten Fall miete ich mich in einer Pension ein.
Ich muss jetzt Schluss machen, Papa. Mögest Du diesen Brief niemals lesen!
Liebe Grüße von Deiner Tochter
XV:
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