Das Luzifer Evangelium
Menschen, die überzeugt sind, in Gottes Namen zu handeln, und eigenmächtig in die Schöpfung eingreifen.«
»Aber – verstehe ich Sie recht, dass Sie zwischen Luzifers Evangelium und Satan einen direkten Zusammenhang sehen? Obgleich der Text etliche tausend Jahre vor Satans Einzug in das Bewusstsein von Propheten, Priestern und Gläubigen geschrieben wurde?«
Aldo Lombardi schien sich zu amüsieren. Sein Gesicht legte sich in Falten. Augenbrauen und Nasenhaaren täte es gut, gestutzt zu werden. Er erinnerte mich an einen alten Lehrer an der halb vergessenen Dorfschule meiner Kindheit.
»Bjørn, Sie glauben nicht an Gott. Sie sind nicht religiös. Für Sie gibt es nur das, was Sie sehen und begreifen können. Sie sind nicht offen für die Mysterien des Lebens. Wie soll es mir da gelingen, Sie nicht nur von der Existenz eines Gottes und eines Teufels und ihrem ewigen Kampf gegeneinander zu überzeugen, sondern von etwas viel Erschütternderem, das Ihr gesamtes Weltbild auf den Kopf stellen wird? Habe ich eine Chance, Ihre Skepsis Gott und seinen Wesen gegenüber auch nur einen Millimeter weit aufzulösen?«
»Probieren Sie es.«
Monique hustete lautlos in ihre Hand.
»Das, was ich zu sagen habe, Bjørn, wollen Sie eigentlich gar nicht wissen. Wenn meine schlimmsten Befürchtungen sich als richtig erweisen, sind die drei Morde nur der Anfang.« Er blickte zur Kuppel des Petersdoms. »Das würde unsere gesamte Weltordnung erschüttern. Verstehen Sie?«
»Wollen Sie sagen, dass Luzifers Evangelium eine Apokalypse ist?«
»Wir haben Grund zu der Annahme, dass Luzifers Evangelium , wie die Heilige Bibel, eine Offenbarung beinhaltet, eine Prophezeiung, die …«
Er presste plötzlich die Hand auf das linke Ohr, als hätte er Ohrenschmerzen. Ich hörte Stimmen in seinem Hörgerät.
»Wo?«, platzte er heraus. Wieder Stimmen. »Code Rot!«, rief er. »Drei Objekte in der Viale Centro del Bosco observiert!«
»Was reden Sie da?«
»Kommen Sie! Schnell!«
Er zog Monique und mich hinter sich her den Weg entlang. Ein Stück hinter uns hörten wir ein Auto beschleunigen und gleich darauf quietschende Bremsen. Ich drehte mich um, aber die Sicht war von ein paar Bäumen verstellt. Laute Rufe ertönten, Schreie, das Zuschlagen von Autotüren.
»Kommen Sie, kommen Sie!«, drängte Aldo Lombardi und scheuchte uns weiter durch den Park.
ROM, MAI 1970
Das Schlimmste war die totale Machtlosigkeit. Nichts zu wissen. Nichts tun zu können.
Giovanni hatte seine Pfeife angezündet, obwohl er zusammen mit Luciana im Wohnzimmer saß. Sie schien es noch nicht einmal zu merken. Luciana wollte unbedingt die Polizei verständigen, sie hatte aber auch nicht den Ernst und die Drohung in der Stimme des Mannes gehört. Wenn Sie nicht tun, was wir sagen, Professor Nobile, werden Sie und Ihre Frau Silvana nie wiedersehen . Die Stimme hatte nicht den geringsten Zweifel daran gelassen, dass die Warnung wörtlich zu nehmen war. Trotzdem widerstrebte es ihm zutiefst, nicht die Polizei zu alarmieren. Da war er ihrer Meinung. Immerhin hatte die Polizei mit solchen Situationen mehr Erfahrung als sie. Aber man konnte nicht vorsichtig genug sein. Wenn ein unerfahrener oder übereifriger Kommissar mit dem Fall betraut wurde, wurde Silvana womöglich das Opfer von Inkompetenz und Ehrgeiz.
»Ich finde, wir sollten anrufen«, sagt Luciana.
»Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe?«
»Trotzdem.«
»Das Risiko ist zu groß.«
»Und was sollen wir sonst machen?«
»Warten.«
» Warten? «
»Warten!«
»Worauf?«
»Dass sie sich melden.«
»Warten … Und was geschieht, wenn sie sich melden, Giovanni?«
»Dann hören wir uns an, was sie zu sagen haben.«
»Und was haben wir ihnen zu bieten?«
Er versuchte, das Gefühl beiseitezuschieben, dass Luciana ihm Vorwürfe machte. Weswegen? Stell dich nicht dümmer an, als du bist, Giovanni . Wegen seiner Untätigkeit. Initiativlosigkeit. Feigheit. Was hätte Vater getan? , dachte er. Was hätte Enrico getan?
»Wir wissen noch nicht, was sie wollen.«
»Glaubst du nicht, dass sie Geld haben wollen?«
»Geld?«
»Was sonst?«
»Warum um alles auf der Welt entführen die Silvana , wenn sie es auf Geld abgesehen haben?«
»Weil sie denken, dass wir reich sind, vielleicht?«
»Sie wissen, wie wir heißen. Sie kennen unsere Telefonnummer. Dann wissen sie auch, wo wir wohnen. Sie wissen, auf welche Schule Silvana geht, und sicher auch, was wir arbeiten. Sie wissen sehr genau, dass wir nicht
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