Das Luzifer Evangelium
beinahe so alt wie die katholische Kirche. Im Gegensatz zu den Katholiken haben wir nicht so großes Gewese um uns gemacht. Und wir sind nicht so zahlreich. Aber unsere Wurzeln gehen auf denselben Glauben zurück.«
Giovanni hatte sich die Tränen abgewischt und sich wieder einigermaßen gefangen.
»Sind Sie Satanisten?«
»Ganz sicher nicht.«
»Die Wurzeln unserer Kirche reichen deutlich weiter in die Tiefe«, sagte der Primus Pilus.
Ein Gedanke meldete sich in Giovannis Kopf. »Sie gehören zum Orden der Drăculsângeer!«
Der Großmeister und der Primus Pilus blickten auf. Keiner von beiden antwortete.
»Egal, an was für gestörten Zwangsvorstellungen Sie leiden«, sagte Giovanni, »Sie müssen doch erkennen, dass Sie nicht einfach ein unschuldiges Mädchen entführen können.«
»Niemand hier auf Gottes Erden ist unschuldig, Professor Nobile. Ihre Tochter wurde, wie wir alle, in ein Schicksal geboren, das niemand außer Gott, Satan und costhul beeinflussen kann.«
»Mit allem Respekt – das ist deterministischer Blödsinn!«
»Sie ist ein Teil unserer heiligen Gemeinschaft, Professor. So steht es geschrieben.«
»Das ist Wahnsinn. Hören Sie sich doch selbst mal zu. Bitte … das ist doch verrückt!«
»Verrückt, Professor Nobile? Die Bibel ist noch immer der Leitfaden für Millionen von Menschen. Warum sollen unsere heiligen Schriften dann Wahnsinn sein?«
»Es wurden Hunderte, ja Tausende von Prophezeiungen in der Antike und der Frühgeschichte gemacht. Die haben heute alle keine Gültigkeit mehr! Die Bibel ist nicht nur ein Produkt ihrer eigentlichen Verfasser, sondern auch der Menschen, die sie in den letzten zweitausend Jahren gedeutet haben.«
»So spricht ein wahrer Christ.«
»Ihr Verhalten ist nicht in Ordnung.«
»Als Professor haben Sie natürlich recht mit Ihrer Auffassung. Doch im Gegensatz zu den christlichen Missionaren haben wir unseren Glauben und unsere Bibeldeutung niemandem aufgezwungen, sondern nur denen nahegebracht, die aus Überzeugung zu uns gekommen sind.«
»Das können Sie doch nicht ernst meinen.«
»Ich erwarte nicht von Ihnen, dass Sie uns glauben oder unseren Schriften folgen. Ich erkläre Ihnen nur den Hintergrund von Silvanas Schicksal und ihre Rolle in diesem …«
»Das ist doch Wahnsinn, Wahnsinn …«
»Professor!«
»Was wollen Sie?«
»Ist das nicht klar? Wir wollen Luzifers Evangelium. «
»Das können Sie kriegen.«
»Ihre Bereitschaft zur Zusammenarbeit würden wir sehr begrüßen.«
»Sobald Silvana sicher und unverletzt wieder hier ist, bekommen Sie es.«
»Ganz so einfach ist es leider nicht. Wir zweifeln nicht daran, dass Sie das Beste für Ihre Tochter wollen, uns ist aber auch klar, dass Sie – oder vielleicht Ihre Frau – die Polizei und die Behörden einschalten werden. Das können wir nicht zulassen. Sie verstehen sicher, dass wir uns vor einer solchen Einmischung verwahren müssen.«
»Wir haben der Polizei nichts gesagt.«
»Noch nicht.«
»Wir wollen nur Silvana.«
»Lassen Sie uns gehen und das Manuskript holen. Dann finden wir eine Lösung.«
»Wir können es nicht einfach holen.«
»Warum nicht?«
»Ich habe es zur Analyse und Konservierung an die Technische Abteilung übergeben. Zu dieser Abteilung habe ich keinen Zutritt. Das ist eine Sicherheitsmaßnahme, die …«
»Wir sind mit den Sicherheitsmaßnahmen vertraut.«
»Morgen früh um neun Uhr ist wieder jemand da. Da kann ich es holen.«
»Wir kommen mit Ihnen.«
»Das geht nicht. Das würde Misstrauen wecken. Ich muss es allein holen, allein. Selbst das ist gegen die Vorschriften.«
»Warum?«
»Wenn ein Artefakt der Konservierung übergeben worden ist, können wir es nicht nach eigenem Gutdünken wieder zurückfordern. Es gibt Regeln, festgelegte Prozeduren. Aber das kriege ich hin. Ich werde eine Ausrede finden, ich kenne den Konservator.«
Der Großmeister und der Primus Pilus sahen ihn an. Schließlich nickten sie.
»Wir sind uns doch wohl darüber einig, dass es zu Ihrem – und nicht zuletzt zu Silvanas – Bestem ist, wenn Sie mit uns zusammenarbeiten«, sagte der Großmeister.
»Natürlich!«
»Wenn Sie oder Ihre Frau auch nur ein Wort von den Geschehnissen weitergeben – an die Polizei, Verwandte, Freunde, Behörden –, stirbt Silvana.«
Ein Schluchzen kam über Lucianas Lippen.
»Wir werden sie nicht töten. Wir werden sie dort zurücklassen, wo sie sich jetzt befindet. Im Sarg. Verstehen Sie?«
»Sarg?«
»Haben Sie mich
Weitere Kostenlose Bücher