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Das Luzifer Evangelium

Das Luzifer Evangelium

Titel: Das Luzifer Evangelium Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Egeland
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Baustelle.
    Ich muss pinkeln. Du darfst nicht in den Sarg pinkeln, sagt Lo-Lo streng.
    *
    Sie haben einen dünnen Gummischlauch durch ein Loch oben im Sarg geschoben. Durch diesen Schlauch kommt Luft. Ich spüre das auf der Haut meines Oberarms, durch die Zugluft habe ich dort Gänsehaut. Ich halte die Innenseite meiner Hand in den Luftstrom. So kann ich den Schlauch finden. Ich drehe mich auf die Seite und weiter auf den Bauch. Dann hebe ich den Kopf, so dass mir die Luft direkt ins Gesicht bläst. Ich öffne den Mund weit und sauge die Luft ein. DANKE, LIEBER GOTT, FÜR DIE LUFT, VIELEN, VIELEN DANK, LIEBER GOTT!
    Es war nicht Gott, der den Schlauch hereingeschoben hat, sagt Lo-Lo. Er ist immer so undankbar.
    Schließlich fühle ich mich wie ein aufgeblasener Ballon. Ich bin kurz davor zu platzen. Ich sacke zusammen und drehe mich wieder auf den Rücken. Denke an Mama und Papa. Sie haben sicher schreckliche Angst um mich. LIEBER GOTT, STEH MAMA UND PAPA BEI, DAMIT SIE NICHT SOLCHE ANGST HABEN, SIE GLAUBEN BESTIMMT, DASS ICH TOT BIN. IN JESU NAMEN, AMEN. Papa hat bestimmt die Polizei angerufen. Vielleicht ist die Wohnung jetzt voller Polizisten. Vielleicht ist ein Bild von mir in der Zeitung. Bestimmt hat jemand die Männer gesehen, die mich mitgenommen haben. Vielleicht hat sich ja auch jemand die Autonummer notiert. Ob die Polizei das Kloster schon umstellt hat? Hoffentlich erzählen die Männer dann auch, wo sie mich versteckt haben. Es ist ja nicht sicher, dass die Polizei in diesen Sarg guckt. Was, wenn sie alle festnehmen und wieder fahren, ohne nachzusehen, ob ich hier bin?
    *
    Ich kann es nicht mehr lange halten und kneife die Schenkel zusammen. Es brennt im Bauch und zwischen den Beinen. Ich will nicht pinkeln. Ich will nicht in meinem eigenen Urin liegen. Bäh. Ich beiße die Zähne zusammen und presse die Knie gegeneinander.
    *
    Papa studiert Dämonen. Ich verstehe einfach nicht, warum. Ich habe Angst vor ihnen. Engel sind mir viel lieber. Die sind nett. Dämonen sind einfach nur böse. Lo-Lo sagt, die Welt sei voller Dämonen. Wir Menschen können sie nicht sehen, wenn sie nicht gesehen werden wollen. In der Regel wollen sie nicht gesehen werden.

Ich habe Durst. Seltsam, dass ich Durst habe und gleichzeitig pinkeln muss. Beides auf einmal. Mein Mund ist trocken. Die Zunge klebt am Gaumen. Ich denke an eiskaltes Wasser. An den Trinkbrunnen auf dem Schulhof. Coca Cola mit Eiswürfeln. Die kriege ich sonntags immer zum Mittagessen.
    Bei jedem Schlucken klickt es trocken in meinem Hals. Hunger habe ich keinen. Aber mir ist übel. Ich frage mich, wann sie mir zu essen und zu trinken geben.
    Sie werden dich nicht freilassen, sagt Lo-Lo.
    Sei doch ruhig, sage ich.
    *
    Zu guter Letzt halte ich es nicht mehr aus. Ich muss so dringend pinkeln, dass ich mich fast übergeben muss. Und dann denke ich, dass ich hier vielleicht noch Stunden liege und ohnehin keine Chance habe, so lange einzuhalten. Mein Körper wird schlaff, und ohne, dass ich es will, lasse ich es einfach laufen. Wie peinlich, sagt Lo-Lo. Die Männer werden es sicher merken, wenn sie den Sarg öffnen. Ich spüre, wie ich im Dunkeln rot werde.

Lo-Lo ist ein Geist. Vor langer, langer Zeit war er eine Elfe in einem Reich, das von einer Königin, die Suhlivan hieß, und einem bösen Zauberer namens Zach-Mahl regiert wurde. Das behauptet er jedenfalls selbst von sich. Suhlivan und Zach-Mahl haben den König mit einem Belladonna-Extrakt umgebracht. Hunderte von Jahren wohnte Lo-Lo in einem grünen Eichenwald unter den Bergen. Er sagt, er habe Felder bestellt, Viehzucht betrieben und in die Sterne geschaut. Damals hieß er Lowïndûlar-cahn-Loshwëêmin. In einem blaugrünen Kolk und einem Wasserfall fischte er Karpfen, die er mit dem Gemüse aus seinem Garten aß. Als er siebenhundertdreiundfünfzig Jahre alt war, starb er an einem vergifteten Bonbon, das ihm Zach-Mahl geschickt hatte. Er hat nie verstanden, was er falsch gemacht oder was den Zauberer erzürnt hat. Danach lebte er unter Geistern. In dem Jahr, in dem ich geboren wurde, wurde er vom Erzengel Michael auf die Erde gerufen und als mein Schutzengel eingesetzt. All das hat er mir erzählt. Ich weiß nicht, ob ich ihm glauben kann. Er redet so viel. Außerdem ist er etwas seltsam. Es ist schwer zu glauben, dass er siebenhundertdreiundfünfzig Jahre gelebt hat, bevor er starb. So klug ist er dann auch wieder nicht. Großmutter war alt und klug. Aber Lo-Lo hört sich noch immer wie ein Kind an. Ich

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