Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
Abreise noch geschrieben und mich um irgendwas gebeten, ich weiß nicht mehr, was es war, aber ich konnte sowieso nicht, weil ich gerade in Ischia war. Was macht er eigentlich in Amerika?«
»Er hält Gastvorlesungen.«
»Soso.« Und nach einem Moment des Zögerns: »Ich dachte immer, die haben da drüben viel bessere Physiker als wir. Die Nobelpreise gehen fast immer nach Amerika.«
»Fabian ist Archäologe, Tante Gertrud.«
»Dann muss ich das wohl verwechselt haben. Aber der Urban studiert doch Physik, nicht wahr?«
»Nein, Medizin. Und das ist nicht Urban, sondern Clemens.« Allmählich kamen Florian Bedenken. Ein nachlassendes Gedächtnis war bei älteren Leuten nichts Außergewöhnliches, er selbst hatte ja auch schon ein bisschen damit zu kämpfen, aber bei Tante Gertrud musste es sich schon um ein fortgeschrittenes Stadium handeln. Das lag wahrscheinlich an ihrer merkwürdigen Ernährung. Immer bloß Grünzeug und Körner. Das musste ja abfärben! Florian hatte noch nie eine intelligente Kuh gesehen, und wie dämlich Vögel sein können, zeigte Urbans Papagei täglich aufs Neue. Immer wieder flog er mit voller Wucht gegen den Spiegel und blieb danach ein paar Sekunden benommen liegen, ehe er sich wieder aufrappelte.
Tante Gertrud war gesprächig. Sie erzählte von ihrer Nachbarin in Bad Schwartau und von dem netten Zimmermädchen in Hindelang, schwärmte von dem milden Klima auf Ischia und der gesunden Nordseeluft. »Dort bin ich im letzten November gewesen, mein lieber Junge. Ich habe mich nie in meinem Leben prächtiger gefühlt.«
»Das war aber schon vor zwei Jahren, Tante Gertrud. Voriges Jahr hast du doch wegen der eingewachsenen Zehennägel im Krankenhaus gelegen.«
»Du hast Recht, Fabian«, gab sie bereitwillig zu, »ich bin erst Mitte Dezember an die See gefahren.«
»Das stimmt auch nicht. Weihnachten hast du nämlich in Tübingen gefeiert.«
Sie ließ sich nicht beeindrucken. »Das ist möglich. Ich reise ziemlich viel, weißt du, da verwechselt man schon mal die Reihenfolge.«
Nicht nur die, dachte Florian, froh, in wenigen Minuten zu Hause zu sein und die anstrengende Tante der Familie übergeben zu können.
Tinchen hatte auf der Terrasse gedeckt und sich viel Mühe dabei gegeben. Nur Körnerkaffee hatte sie beim besten Willen nicht auftreiben können. Also hatte sie koffeinfreien gekocht und vorsichtshalber eine kleine Kanne Malventee, davon waren noch ein paar Aufgussbeutel übrig geblieben, Knäckebrot hatte sie hingestellt, Kräuterkäse und natürlich frisches Obst. Zwei Scheiben Pumpernickel hatte sie auch noch gefunden; ein bisschen wellten sie sich schon am Rand, aber wenn man sie umgekehrt hinlegte, fiel das kaum auf. Ob Eier zu den von Tante Gertrud tabuisierten Nahrungsmitteln zählten, wusste sie nicht, deshalb hatte sie erst gar keine auf den Tisch gebracht. Notfalls konnte die Tante ja die Dekoration essen. Die Tausendschönchen waren taufrisch.
Nur das Empfangskomitee war etwas spärlich ausgefallen. Außer Rüdiger war nur noch Karsten aufgestanden, weil er ohnehin gleich nach dem Frühstück heimfahren wollte. Bei den anderen beiden hatte die Nachricht, Tante Gertrud sei im Anmarsch, nicht die erwünschte Resonanz gehabt.
»Um Himmels willen«, hatte Urban gesagt, »lieber eine Woche lang Bundeswehrfraß als einen Tag lang Tante Gertruds Kuhfutter. Noch vor dem Mittagessen haue ich ab!« Dann hatte er sich umgedreht und war wieder eingeschlafen.
Melanie hatte andere Gründe, sich vorerst nicht blicken zu lassen.
»Spätestens nach einer halben Stunde geht sie einem auf den Keks, und der Tag hat noch nicht mal richtig angefangen. Vor dem Abendbrot komme ich nicht runter!«
Zum Glück hatte noch Clemens ein Einsehen gehabt. »Na schön, Tinchen, wenn es sein muss, stehe ich auf. Aber nur dir zuliebe.« Ob er inzwischen doch wieder eingeschlafen war oder erst seinen Kater bändigen musste, konnte sie nicht sagen, jedenfalls war er noch nicht da, als Tante Gertrud mit ausgebreiteten Armen auf Tinchen zukam. »Wie schön, meine liebe Gisela, dich einmal wieder zu sehen.«
»Ja, aber –«, stotterte Tinchen hilflos, während sie den Begrüßungskuss entgegennahm, »ich bin doch gar nicht Gisela.«
Tante Gertrud stutzte und trat einen Schritt zurück. »Nein«, sagte sie entschieden, nachdem sie Tinchen gründlich angesehen hatte, »du bist nicht Gisela. Aber wer bist du dann?«
»Ich bin Tina, die Frau von Florian und zurzeit Pflegemutter von dem ganzen
Weitere Kostenlose Bücher