Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
ich will grün im Gesicht aussehen? Ich mach’ mir jetzt ’ne Pizza warm.«
Als besonders anstrengend empfanden die Benders Tante Gertruds Vergnügungsprogramm. Jeden Nachmittag wünschte sie einen Ausflug zu machen, von dem sie nicht einmal ein Landregen abhalten konnte.
»Wir sitzen ja im Trocknen«, pflegte sie zu sagen und erwartungsvoll in die finsteren Gesichter ihrer Verwandten zu blicken. »Wer fährt mich denn heute ein bisschen spazieren?«
Diese Frage hatte sie schon am Ankunftstag gestellt. Da war auch noch jeder bereit gewesen, der lieben Tante etwas zu bieten. Die Vorschläge hatten beim Stuttgarter Fernsehturm angefangen und bei einem Besuch der Burgfestspiele in Jagsthausen noch lange nicht aufgehört, aber so beklagenswert Gertruds Gedächtnis sonst auch sein mochte, in diesem Punkt ließ ihr Erinnerungsvermögen sie nicht im Stich. Sie hatte sich die einzelnen Ausflugsziele genau gemerkt und für jeden Tag ein anderes parat. Waren sie noch beim ersten Mal alle zusammen das Neckartal rauf und wieder runter gefahren, so hatte sich schon am zweiten Tag Rüdiger mit einer Verabredung entschuldigt und Melanie mit Klavierstunde, obwohl sie die letzte vor vier Jahren gehabt hatte. Am dritten Tag wollte Tante Gertrud in den Taunus und dort tüchtig laufen. Da hatte Tinchen aber ein Blase am Fuß und konnte nicht mit. Zur Weinprobe in die Pfalz fuhr Florian freiwillig und gern, bis ihm einfiel, dass er ja auch wieder zurückfahren und deshalb nüchtern bleiben musste.
»Jetzt bist du aber mal wieder dran!«, sagte er zu Tinchen, nachdem Tante Gertrud den Wunsch geäußert hatte, den berühmten Frankfurter Flughafen und die noch berühmtere Startbahn West zu besichtigen.
»Da verfahre ich mich doch immer«, hatte Tinchen gesagt und war auch prompt woanders gelandet. Eine Abfüllanlage für Coca-Cola hatte die Tante aber auch noch nie gesehen und sehr interessant gefunden. Die Flugplatzbesichtigung übernahm Rüdiger; er hatte wieder einmal weder Geld noch Benzin, aber seine Rechnung ging auf. Tante Gertrud bezahlte die Tankfüllung.
Mittlerweile hatte sie sich auch an Melanies Anblick gewöhnt, die in Haus und Garten ständig mit ihrem Walkman herumlief. Beim ersten Mal war die Tante noch ganz entsetzt gewesen. »Mein Gott, Kind, brauchst du denn in deinem Alter schon ein Hörgerät?«
Eines Abends passierte dann das, was schon lange vorprogrammiert, bisher aber noch mühsam unterdrückt worden war: Florian explodierte! Er hatte sich mit dem immer noch schwindsüchtigen Aktendeckel an den Schreibtisch gesetzt und wollte seine nur in Stichworten festgehaltenen Erkenntnisse über die Psychologie Halbwüchsiger endlich in wohlformulierte Sätze bringen. Das war schwieriger, als er gedacht hatte. Was er da fabrizierte, klang eigentlich mehr nach einer Glosse und nicht nach einer wissenschaftlichen Arbeit. Schmunzelnd las er den letzten Absatz:
»Die Tatsache, dass an einem gewöhnlichen Wochentag weder mein siebzehnjähriger Neffe noch seine jüngere Schwester abends um halb zehn im Hause waren und niemand von uns wusste, wo sie sich aufhielten, inspirierte mich zu einem Test. Nacheinander rief ich die Nummern der mir bekannten Freunde an, um zu erfahren, ob deren Eltern über den momentanen Aufenthaltsort ihrer halbwüchsigen Kinder informiert waren. Zu meinem Erstaunen meldeten sich überwiegend Kinder am Apparat, die ihrerseits keine Ahnung hatten, wo ihre Eltern stecken.«
Er riss den Bogen aus der Maschine und warf ihn zu den anderen in den Papierkorb. So ging das nicht! Vielleicht sollte er überhaupt das ganze Projekt fallen lassen und stattdessen ein Buch über seine Erfahrungen als Hausmann schreiben? Davon hatte er inzwischen mehr als genug gesammelt, speziell in den letzten Wochen. Und genauso lange hatte er von seinen jugendlichen Studienobjekten kaum etwas gesehen. Die glänzten meistens durch Abwesenheit und kamen nur noch zum Schlafen nach Hause. Sogar Urban, der sonst jeden Freitag eingetrudelt war, weil er die Wochenenden nirgendwo billiger verbringen konnte, hatte sich seit Tante Gertruds Ankunft nicht mehr sehen lassen. »Wenn jemand mal was kriegt, dann Vater und du. Also sei auch ein braver Neffe und kümmere dich allein um die liebe Erbtante. Ich bleibe in der Kaserne«, hatte er am Telefon gesagt und sich freiwillig zum Bereitschaftsdienst gemeldet.
Gerade als Florian seine Unterlagen zusammengeräumt hatte und in die Küche gehen wollte, um Tinchen von seinen neuen
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