Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
ihr ein, dass das Fleisch mit Clemens nach Heidelberg fuhr und Tomaten auch zu jenen Dingen gehörten, die sie vergessen hatte mitzubringen. Vielleicht sollte sie es doch noch mal mit Milchreis versuchen?
Ein grässlicher Schrei riss sie aus ihren Überlegungen. Es klang genauso wie in den Edgar-Wallace-Filmen, wenn die ahnungslose Heldin über die dritte Leiche im Keller stolpert. Und genau da schien dieser Schrei auch herzukommen. Tinchen riss die Tür auf, rannte die Treppe hinunter, dann die zweite, die ins Souterrain führte, und als sie gerade die erste Stufe der Kellertreppe betreten hatte, fiel ihr Frau Schliers in die Arme. Das Kopftuch war verrutscht und hing ihr halb übers Gesicht, ihre Haare standen zu Berge und ihr Augen zeigten blankes Entsetzen. »Eine Ratte«, keuchte sie, »eine ganz große Ratte! Hinten bei den Kartoffeln.«
»Unsinn, hier gibt es keine Ratten. Wer weiß, was Sie gesehen haben.« Martha war dazugekommen und machte Anstalten, den Ort des Grauens selbst zu inspizieren.
»Gehen Sie da nicht hin!«, kreischte Frau Schliers. »Ratten sind gefährlich! Die hat bestimmt der Hund angeschleppt.«
»Na, wenn sie tot ist, kann sie Ihnen doch nichts mehr tun.« Obwohl Tinchen sich im Allgemeinen weder vor Spinnen, Regenwürmern noch Mäusen fürchtete, waren ihr Ratten doch ein bisschen unheimlich. Andererseits sah sie in ihrem heroischen Entschluss, ganz allein dem Untier entgegenzutreten, die beste Gelegenheit, Marthchen von ihren sonstigen Qualitäten zu überzeugen. Mut sowie Unerschrockenheit würden doch wohl das bisschen Vergesslichkeit aufwiegen.
Sogar in Frau Schliers Augen glomm so etwas wie Hochachtung auf, als Tinchen sich mit einer Kaminschaufel bewaffnete und vorsichtig in den Keller stieg. Nachdem sie sich an das diffuse Zwielicht gewöhnt hatte, suchte sie zunächst die Kartoffelkiste ab, konnte aber außer einem durchlöcherten Fußball nichts entdecken, was dort nicht hingehörte. Auch das hohe Regal mit dem Eingemachten sah unverdächtig aus, bis auf die Pelzmütze natürlich, die zwischen den konservierten Birnen eigentlich nichts zu suchen hatte. Als Tinchen danach greifen wollte, um sie mit nach oben zu nehmen, kam Leben in das Fellknäuel. Sie schrie auf, sprang zwei Schritte zurück, hob die Schaufel und – konnte gerade noch rechtzeitig abbremsen, bevor Herr Schmitt ein gewaltsames Ende fand.
»Du hast mir vielleicht einen Schrecken eingejagt!« Das völlig verängstigte Tier ließ sich widerstandslos auf den Arm nehmen. Sie drückte das zitternde Häschen an sich und streichelte zärtlich sein verstaubtes Fell. »Du bist der klassische Fall für den Tierschutzverein. Eingesperrt im dunklen Keller bei rohen Kartoffeln und sauren Gurken. Entschuldige, Herr Schmitt, aber wir haben dich total vergessen.«
Es blieb ein unerklärliches Rätsel, wie der Hase das mit zwei Wirsingkohlköpfen beschwerte Fliegenfenster hatte anheben und dann aus seinem gläsernen Käfig flüchten können, aber Not macht bekanntlich erfinderisch. Ständig einen Kohlkopf vor Augen zu haben und nicht heranzukommen, hält nicht mal ein Hasenherz aus.
Erst nach einem doppelten Kognak ließ sich Frau Schliers davon überzeugen, dass die Ratte erstens gar keine war, zweitens ein Zwerghase nur entfernt mit einem Kaninchen verwandt und folglich für die Bratpfanne nicht geeignet ist und drittens normalerweise in einem dafür bestimmten Käfig sitzt, wo er keine Putzfrauen erschrecken konnte, andererseits aber auch vor Übergriffen ebensolcher geschützt war.
»Am besten werde ich jetzt nach Hause gehen«, beschloss Frau Schliers und ließ das Glas noch einmal voll gießen. »Arbeiten kann ich heute nicht mehr, dazu ist mir der Schreck zu sehr in die Glieder gefahren. Hunde! Hasen! Bin mal neugierig, was Sie uns noch ins Haus schleppen!« Vorwurfsvoll sah sie Tinchen an. »Wenn das die Frau Professor wüsste!«
»Ich bin überzeugt, sie wird es bald erfahren«, sagte Tinchen liebenswürdig. »Können Sie allein gehen, oder soll ich Sie schnell heimbringen?«
Die Aussicht, bereits genügend Stoff für einen ausführlichen Brief nach Amerika gesammelt zu haben, verlieh Frau Schliers neue Kräfte.
»Ich komme gut allein zurecht. Außerdem haben Sie gar keine Zeit, Frau Bender. Den Flur habe ich noch nicht gewischt, die Kacheln auf der Toilette müssen heute abgeseift werden, im Esszimmer ist noch nicht gesaugt, und im ersten Stock bin ich überhaupt nicht gewesen. Das werden Sie wohl alles
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