Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
geblieben. Obwohl Rüdiger normalerweise keine Gelegenheit ausließ, seine endlich auch amtlich sanktionierten Fahrkenntnisse zu beweisen, hatte er sich diesmal geweigert. »Erstens kann ich kein Französisch, und zweitens denke ich gar nicht daran, vier alberne Gänse durch die Gegend zu kutschieren.«
Auf Melanies Wunsch hatte nämlich ihre Freundin Petra mitfahren müssen, die ihrerseits eine Sandrine erwartete. »Ich weiß doch gar nicht, was ich mit Mylène reden soll, und die ist bestimmt froh, wenn sie noch eine Weile in ihrer Muttersprache quasseln kann. Ein Glück, dass diese Sandrine auch nach Steinhausen kommt, dann kann ich mein Anhängsel wenigstens mal abschieben, wenn es mir auf den Keks geht. – Umgekehrt natürlich auch«, sagte sie schnell, als sie Tinchens Gesicht sah. »Frau Linneberg ist bestimmt dankbar, wenn ich ihr die Sandrine auch mal abnehme.«
»Ich dachte, ihr freut euch auf den Besuch.«
»Wie kann ich mich auf jemanden freuen, den ich gar nicht kenne?«, hatte Melanie geantwortet, und Tinchen hatte ihr Recht geben müssen.
Jetzt zupfte sie an dem Blumenschmuck herum, rückte zum zehnten Mal die Messer gerade und sah immer wieder auf die Uhr. Schon nach sieben! Um halb sechs hatte der Bus in Heidelberg ankommen sollen. Wo blieben die nur so lange? Selbst um diese Zeit brauchte man höchstens eine halbe Stunde bis Steinhausen. Florian würde doch nicht einen Unfall gebaut haben? Mit dem Mercedes war er noch immer nicht richtig vertraut, doch Melanie hatte auf diesem Renommierschlitten bestanden. »Wir brauchen den Kofferraum für das Gepäck, außerdem ist Mylènes Vater Unternehmer, der fährt bestimmt einen dicken Citroën. Ich will mich ja nicht gleich in den ersten Minuten blamieren.«
Also hatte Florian den Daimler entstaubt, die klassischen Musikkassetten gegen zwei Leihgaben von Melanie ausgewechselt, Flanellhosen angezogen und war mit seiner Nichte zum Empfang des hohen Gastes gestartet. Und jetzt waren sie noch immer nicht zurück!
Als Martha zum vierten Mal angetrabt kam und berichtete, das Reh sei jetzt auf Rehpinschergröße geschrumpft, klingelte es endlich. Martha verschwand eilends Richtung Küche, während Tinchen erwartungsvoll die Tür öffnete. »Bonjour, Mylène, et bien … ach, du bist es bloß?«
»Nu haste dich ganz umsonst angestrengt«, grinste Clemens, »aber dein Auswendiggelerntes kannst du gleich noch mal runterleiern. Die sind eben um die Ecke gebogen.«
Da ging auch schon ein Ruck durch den Wagen, weil Florian zu scharf an die Bordsteinkante gefahren war. Tinchen hörte Melanie auf dem Rücksitz schimpfen: »Bist du bescheuert? Jetzt klebt die ganze Wimperntusche an der Kopfstütze.«
Mit ausgebreiteten Armen ging Tinchen auf den Gast zu. »Bonjour, Mylène, et bienvenue. J’espère que tu t’amuseras chez nous.« Na also, das war ja ohne Stocken über die Lippen gekommen. Hoffentlich stimmte die Grammatik.
Mylène knickste artig und reichte Tinchen die Hand. »Bon soir, Madame. Merci pour l’invitation et beaucoup d’amitiés de mes parents.«
»Was hat sie gesagt?«
»Danke.« Melanie eilte ins Haus und zog Mylène am Arm mit sich. Tinchen stiefelte hinterher. »Sie hat doch mehr gesagt als bloß danke.«
»Grüße von ihren Eltern hat sie noch ausgerichtet. Und wenn du dir einbildest, dass ich jetzt dauernd den Dolmetscher spiele, bist du schief gewickelt. Ich verstehe sie ja auch nicht.«
»Dann soll sie deutsch reden.«
»Das kann sie kaum.«
»Wieso nicht? Ich dachte …«, stammelte Tinchen hilflos.
»Das hab’ ich auch gedacht, aber bisher hat sie nur ›Deutschland gefällt mir gut, es ist schön‹, herausgebracht und den Satz hat sie sich bestimmt schon in Frankreich eingetrichtert.«
»Ach was, sie muss erst mal ein bisschen warm werden.« Sie legte dem verschüchterten Mädchen den Arm um die Schulter und dirigierte es ins Speisezimmer. »Du hast bestimmt Hunger?«, sagte sie langsam und deutlich.
Widerspruchslos ließ sich Mylène zu ihrem Platz führen, stand aber sofort wieder auf, als die beiden Jungen eintraten.
»Ce sont mes frères Clemens et Rüdiger«, stellte Melanie vor.
»Bon soir, Messieurs«, knickste Mylène.
»Heiliger Himmel, die benimmt sich ja wie eine Aufziehpuppe«, stöhnte Melanie, aber Rüdiger drückte Mylène auf den Stuhl zurück und schlug ihr freundschaftlich auf die Schulter. »Je suis nix Monsieur, je suis Rüdiger, capito?«
»Oui«, lächelte Mylène erleichtert, »ist ein
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