Das mach' ich doch mit links: Roman (German Edition)
Tinchen! Warum denn so wütend?« Melanie wirbelte in die Küche, gefolgt von Mylène, die zwei rosa verpackte Geschenke umklammerte. Eins davon enthielt unzweifelhaft eine Flasche, das andere hatte die Größe eines Schuhkartons und ließ keine näheren Schlüsse zu.
»Bonjour, Madame. Avec beaucoup d’amitiés de ma mère.« Tinchen bekam den Karton überreicht, und Florian erhielt mit einem »C’est un petit cadeau de mon père« die Flasche.
»Geschenke ihrer Eltern«, erklärte Melanie. Dann setzte sie sich an den Tisch und überprüfte die Auswahl. »Sind keine Cornflakes mehr da?«
»Hol sie dir gefälligst selber«, brüllte Florian. »Tinchen ist nicht euer Nigger!«
»Man wird ja wohl noch fragen dürfen. Sonst stehen sie immer auf dem Tisch.«
Unterdessen hatte sich Tinchen wortreich bei Mylène bedankt, was diese offensichtlich nicht verstanden hatte, denn sie antwortete mit einem völlig unpassenden »Oui, merci.«
Das war wohl nichts, dachte Tinchen, und mit einem Blick zur Uhr sagte sie langsam und prononciert: »Was möchtest du trinken, Mylène? Kaffee oder Tee, wir haben auch Kakao, und Essen nimmst du dir bitte selbst.«
»Pardon, Madame?«
»Sie hat dich nicht verstanden«, sagte Melanie kauend.
»Dann sag du ihr, dass sie endlich anfangen muss. In zwanzig Minuten fährt der Bus.«
»Nun los, Mylène, mange! Es ist schon plus tard!«, ermunterte Rüdiger das Mädchen. »Voulez-vous café oder Tee oder – was heißt Milch?«
Mylène hatte ein Wörterbuch aus der Tasche gezogen und blätterte. Endlich hatte sie gefunden, was sie suchte. »Isch fruh – fruhstucke nicht in matin. Immer erst in école.«
»Das geht nicht! Du musst morgens etwas essen!« Tinchen schnitt ein Brötchen auf und bestrich es mit Butter. »Wurst oder fromage?«
»Nun lass sie doch, wenn sie nicht will. Gib ihr lieber ein anständiges Pausenbrot mit!« Langsam ging Florian das Getue um diese halbwüchsige Göre auf den Geist. Um ihn machte Tinchen nie solch ein Theater. Wurst bekam er morgens selten zu sehen, die musste er sich immer heimlich aus dem Kühlschrank klauen, und der Fruchtsaft war meistens auch schon alle, wenn er herunterkam. Er machte sich zwar nicht viel daraus, aber hier ging es ums Prinzip.
»Am gedeckten Tisch ist noch niemand verhungert«, bemerkte er ganz richtig, während er eine Scheibe Emmentaler auf eine Brötchenhälfte legte.
»Es haben sich aber schon viele überfressen!« Die Aufschnittplatte verschwand, ebenso der Käse.
»Papi hat noch welchen unterm Teller liegen«, verkündete Julia, »ich hab’s genau gesehen.«
»Man guckt anderen Leuten nicht beim Essen zu! Tine, die Manieren deiner Tochter lassen sehr zu wünschen übrig.«
»Deine etwa nicht?« Wortlos schob Tinchen den Teller hoch. Die festgeklebte Käsescheibe fiel ins Marmeladenglas.
»Los, Leute, wir müssen weg!« Rüdiger stand auf. »Ich hab’ nämlich die Erfahrung gemacht, dass der Bus doppelt so schnell fährt, wenn man hinterherläuft, als wenn man drinsitzt.«
»Weshalb fahrt ihr denn nicht mit deinem Wagen?«
»Kein Benzin. Warum ist am Ende vom Taschengeld immer noch so viel Monat übrig?«
Die drei polterten die Treppe hinauf, und Tinchen konnte sich endlich setzen und ihr Päckchen auswickeln. Zum Vorschein kam ein rosa Karton, und als sie ihn öffnete, erblickte sie eine Glasflasche, die mit ebenfalls rosa Sand gefüllt war. »Ich ahne Schreckliches.«
Begeistert stürzte sich Julia auf die Flasche. »Kriege ich das zum Spielen? Das riecht so gut.«
»Nein, Julia, das ist Badesalz. Damit kann man nicht spiel … Pass auf! Gleich fällt sie runt …« Da klirrte es auch schon, und die ganze Herrlichkeit lag auf dem Fußboden, wo sie sofort einen durchdringenden Geruch verbreitete, Florian nieste bereits.
»Feg das bloß schnell zusammen?«
»Das geht nicht. Was soll ich denn Mylène sagen?«
»Die Wahrheit.« Aber Tinchen hatte schon ein Haarsieb geholt und einen Löffel und fing an, das Badesalz durchzusieben. »Die Scherben sind fast noch kleiner als das übrige Zeug«, schimpfte sie. »Nein, Julia, das kann man nicht essen. Wie bitte? Deine Puppen essen das auch nicht. – Nein, damit kann man sich auch nicht die Hände waschen, das tut man ins Badewasser, damit es gut riecht. – Ja, du bekommst heute Abend ein bisschen davon ab. – Nein, jetzt wird nicht gebadet, gleich bringt dich Papi in den Kindergarten. – Nein, du kannst den anderen Kindern nichts mitbringen, auch nicht
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