Das Mädchen am Rio Paraíso
dass er angespannt war. Aber war das nicht normal? Vermutlich machte er sich als Gastgeber einfach zu viele Gedanken um das Gelingen des Festes.
Plötzlich war ein kurzes Aufstöhnen von Raúl zu hören, dann sah Klara auch den Grund dafür. Eine dralle Brünette kam auf sie zu, strahlend und sehr aufgeregt.
»Raúl, mein Lieber, endlich finde ich dich! Du läufst doch nicht etwa vor mir davon?« Dabei gackerte sie albern, ihr Doppelkinn bebte.
»Inês, schön dich zu sehen.« Er begrüßte sie mit zwei Wangenküsschen, um sogleich einen Schritt zurückzutreten und mit ausholender Geste die beiden Frauen miteinander bekannt zu machen. »Darf ich vorstellen – Inês Sobral Lima, Klara Wagner.«
»Ich habe schon von deiner deutschen Eroberung gehört, Raúl, aber dass sie so … unscheinbar ist, hätte ich von dir nicht erwartet.« Dabei lächelte Inês und nickte Klara wohlwollend zu, als habe sie etwas sehr Vorteilhaftes über die andere geäußert. Offenbar ging sie davon aus, dass Klara kein Wort verstand.
»Sehr angenehm«, sagte Klara und reichte Inês die Hand.
Ihrer ungerührten Miene war nicht zu entnehmen, ob sie die beleidigende Bemerkung als solche begriffen hatte oder nicht.
Inês verschluckte sich beinahe vor Schreck. »Oh, ähm … da drüben sind ja die Pereiras, die habe ich seit Ewigkeiten nicht gesehen, da werde ich doch gleich mal …« Und schon war sie im Getümmel verschwunden.
Klara ließ den Blick über die vielen Leute schweifen, die mittlerweile vor den Zelten standen und darauf warteten, dass das große Feuer entzündet wurde. Die Stimmung war ausgelassen, man hörte die Menschen lachen und laut reden und sah sie einander zuprosten. Und so fiel Klara eine Person nur dadurch auf, dass sie reglos dastand und den Blick auf Raúl heftete, durchdringend, als könne sie ihn durch ihre schiere Willenskraft dazu bewegen, zu ihr hinzuschauen. Sie war sehr hübsch, fand Klara, und im Gegensatz zu Inês sicher eine Frau, die Raúls Interesse erregte. Augenblicklich fühlte Klara Eifersucht in sich aufwallen. Ihre Blicke trafen sich. Klara fühlte sich regelrecht durchbohrt von dem intensiven Starren der anderen, hielt dem Blick jedoch stand. Es war kindisch, trotzdem wollte sie nicht als Erste wegsehen. Im Niederstarren war sie schon immer gut gewesen. Doch dann drehte die andere sich abrupt um, und Klara verlor sie aus den Augen. Ihre Aufmerksamkeit wurde nun ohnehin mehr von dem Feuerspektakel in Anspruch genommen.
Einige schwarze Burschen liefen mit Fackeln um den Scheiterhaufen herum und setzten ihn in Brand. Es knisterte und qualmte, bevor die ersten Flammen aufloderten und schließlich das ganze aufgeschichtete Holz lichterloh brannte. Es war ein schönes Feuer, das ihre Gesichter zum Leuchten brachte und ihre Körper wärmte. Unvermittelt verspürte Klara den Drang, nach Raúls Hand zu greifen – aber sie griff ins Leere. Er stand nicht mehr bei ihr.
Stattdessen war ein junger Mann zu ihr herangetreten, der sie unverhohlen lüstern musterte. »Sie müssen die deutsche Senhorita sein, von der man so viel hört.«
»Und wer sind Sie?« Klara war von den mangelnden Manieren des Mannes so entgeistert, dass sie selber nicht eben höflich reagierte.
»Oh, Verzeihung. Ich bin Eduardo Felipe Vieira Lima. Sehr erfreut.« Er nahm ihre Hand und hauchte einen angedeuteten Kuss darauf. »Hat das Feuer Sie auch durstig gemacht? Kommen Sie, gehen wir nach da drüben, wo der Punsch ausgeteilt wird.«
Klara blieb nichts anderes übrig, als dem Geck zu folgen. Nachher war er irgendein furchtbar wichtiger Geschäftspartner Raúls, und so jemanden wollte sie keineswegs brüskieren. Sie sah hilfesuchend um sich, doch von Raúl war weit und breit keine Spur.
»Suchen Sie Ihren Gönner? Der hat sich ins Haus verzogen – Sie wissen schon, das Feuer. Davor hat der große Held Angst, wussten Sie das nicht?«
Nein, das hatte sie nicht gewusst. Aber sie hätte es sich eigentlich denken können. Sie hatte große Lust, ebenfalls ins Haus zu gehen und Raúl Mut zuzusprechen oder einfach nur seine Hand zu drücken. Aber Senhor Eduardo Felipe war überaus besitzergreifend und ließ sie nicht aus seinen Fängen.
»Keine Bange, meine Liebe«, sagte er, als er ihren sorgenvollen Gesichtsausdruck wahrnahm, »er muss nicht allein vor sich hin leiden. Senhorita Dora leistet ihm bestimmt, ähm, Beistand.« Er sagte das in einem so unmissverständlich anzüglichen Ton, dass Klara ihm am liebsten eine Ohrfeige
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