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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wäre ich froh gewesen, das Kind nicht austragen zu müssen – es war ja nicht in Liebe empfangen worden, und es würde mir mein Leben nur noch schwerer machen. Ich hasste mich für diesen Gedanken, ich hatte mir ja immer viele Kinder gewünscht. Allein dafür verdiente ich es wohl, verprügelt zu werden.
    Diesmal nahm er nicht einmal mehr Rücksicht darauf, ob er offensichtliche Spuren seiner Gewalt hinterließ. Er boxte mich ins Gesicht und brüllte: »Du gehst ab sofort nicht mehr aus dem Haus! Und Besuch empfängst du auch keinen.«
    Ich suchte hinter dem Küchentisch Deckung, denn diesmal, so schien es mir, hegte er echte Mordabsichten. In seiner Raserei stürzte er sich auf mich. Doch er verlor das Gleichgewicht und fiel der Länge nach hin. Ich schnappte mir einen seiner Gehstöcke, sprang auf und stellte mich angriffslustig über ihn, die Krücke zum Schlag erhoben. Ich glaube nicht, dass ich jemals wirklich zugeschlagen hätte, mir genügte es schon, dass ich ausnahmsweise einmal in der stärkeren Position war. Er legte schützend die Arme über seinen Kopf. Dann hörte ich ihn wimmern: »Nicht, tu’s nicht, bitte.«
    Ich blieb weiter reglos über ihm stehen. Da ich nicht zuschlug, kam Hannes wohl zu der Einsicht, dass ich es auch nie tun würde. Er wurde mutiger. »Du Hexe. Erst sägst du mir ein gesundes Bein ab, an dem nur ein kleiner Kratzer war, und dann nutzt du meine Lage auch noch aus.«
    Ich
nutzte
seine
Lage aus? Das war ja die Höhe! Ich hatte große Lust, den Krückstock voller Wucht auf ihn niedersausen zu lassen, doch wie er da so armselig lag, mit seinem Stummelbein, brachte ich es nicht übers Herz.
    »Du hast Mitleid mit deinem entstellten Mann, das sehe ich dir an. Na los, schlag zu. Du hattest ja auch keine Hemmungen, als du mir das Bein abgenommen hast.
Du
hast mich doch erst zum Krüppel gemacht, du und dieser betrügerische Quacksalber, der wohlweislich das Weite gesucht hat, bevor ich ihm dasselbe antun konnte!«
    Der »Apotheker« war weitergezogen, nordwärts, auf der Suche nach neuen Heilpflanzen und -kräutern in tropischeren Klimaten. Vielleicht war er auch einfach vorausschauend genug gewesen, um durch seine bloße Anwesenheit in São Leopoldo nicht den Zorn meines Mannes herauszufordern. Er hatte sich bei mir verabschiedet, war eigens vorbeigekommen, um mir noch einmal zu sagen, wie sehr er bedauerte, dass wir diese Operation hatten ausführen müssen, und wie froh er sei, dass mein Mann überlebt hatte. Bei seinem unerwarteten Besuch hatte der Professor nur in einem Nebensatz festgestellt, es sei wohl sehr viel Arbeit, alles in Schuss zu halten, aber das allein hatte gereicht, um mir bewusstzumachen, wie tief wir seitdem gesunken waren.
    »Na ja«, meinte ich, »mein Mann ist ja nicht mehr voll einsatzfähig …«
    Professor Breitner schaute mich zweifelnd an, äußerte seine Vermutungen aber nicht. Er wusste, dass nun eh nichts mehr zu ändern war. Dafür sagte er das Freundlichste, was ich in Monaten zu hören bekommen hatte und woran ich mich noch lange aufbauen konnte: »Wissen Sie, Frau Wagner, wenn ich ein echter Chirurg wäre, würde ich Sie sofort bitten, als meine Assistentin mit mir zu ziehen. Sie waren während der Operation sehr tapfer und sehr kaltblütig. Ohne Ihre Hilfe hätte ich es nicht geschafft. Sie haben etwas Besseres …«, doch da bremste er sich rechtzeitig.
    Ich ergänzte den Satz im Stillen: »… verdient als dieses Drecksloch.« So etwas in der Art hatte er sagen wollen, das sah ich ihm an, aber er war zu fein, um mir noch all mein Elend unter die Nase zu reiben.
    Hannes schnappte sich den Stock und holte mich in die Gegenwart zurück. Er hatte sich mittlerweile aufgerappelt. Er holte schneller zum Schlag aus, als ich reagieren konnte. Die Krücke landete mit einem hässlichen Knirschen seitlich an meinem Brustkorb, wobei ich nicht wusste, ob es eine meiner Rippen oder der Gehstock selber war, der das Geräusch verursacht hatte. Ich ging in die Knie. Aber ein letztes Fünkchen von Überlebenswillen musste noch in mir gesteckt haben, denn erstmals tat ich etwas anderes, als klaglos die Schläge zu erdulden: Ich rannte fort.
    Hannes schrie mir wüste Verwünschungen nach, aber es war mir ganz egal. Laufen konnte ich nun einmal besser als er, da hatte er nicht die geringste Chance, mich zu erwischen. Ich rannte, bis ich keine Luft mehr bekam. Dann erst, längst außer Sichtweite des Hauses, traute ich mich, anzuhalten. Ich beugte mich nach vorn,

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