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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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wird dir zuhören. Alle glauben das, was ich ihnen erzählt habe. Alle halten dich für irr, Klärchen! Und keiner wird sich wundern, wenn ich armer Witwer berichte, wie du dich in deinem Wahn selbst getötet hast! Ha, sie werden vor lauter Mitleid mit mir …«
    In diesem Moment fand sein Hassgeschrei ein jähes Ende. Christel hatte den Schürhaken mit beiden Händen fest umklammert und ließ ihn mit voller Kraft auf Hannes’ Schädel niedersausen. Ein Schlag genügte.
    Das Geräusch des knackenden Schädels löste bei Christel augenblicklich einen Würgreiz aus. Sie konnte nur knapp verhindern, sich auf den leblosen Körper vor ihr zu erbrechen. Ihre Beine zitterten, sie schwitzte und atmete rasselnd. Dann setzte ihr Verstand wieder ein. Mein Gott, was hatte sie getan?! Waren sie hier draußen denn alle verrückt geworden? Ihr Entsetzen angesichts des Mordes, den sie gerade begangen hatte, war noch größer als jenes, das sie bei Hannes’ Worten empfunden und das den Impuls zu dem Schlag erst ausgelöst hatte. Hannes’ Verbrechen an Klärchen waren widerlich, seine Lügen und seine Heuchelei den Freunden gegenüber abscheulich. Aber rechtfertigte das einen
Mord?
    Christel sank neben dem Leichnam in die Knie und heulte, wie sie nie zuvor in ihrem Leben geheult hatte. Ihre Empörung über die Wahrheit, die sich ihr eben offenbart hatte, ihre Scham angesichts der eigenen Blindheit und unterlassenen Hilfe gegenüber Klärchen sowie ihre Fassungslosigkeit ob der Schuld, die sie soeben auf sich geladen hatte – das alles entlud sich in diesem schier unversiegbaren Tränenstrom. Christels Leib krümmte sich unter den Schluchzern, sie schlug mit den Fäusten in das Gras und schrie dann auf, als sie merkte, dass Blut daran klebte. Es war aus der tödlichen Wunde in Hannes’ Kopf gesickert und war, ohne dass Christel – tränenblind – es bemerkt hatte, in einer Lache zusammengelaufen. Hysterisch wischte Christel sich die Hand an dem nächsten sauberen Grasbüschel ab, streifte immer wieder und immer fester über die Halme, doch ganz sauber wurde ihre Hand nicht. Ein feiner bräunlicher Film lag darauf, und in den Falten ihrer Fingerknöchel war das Blut bereits zu dünnen dunklen Streifen geronnen.
    Hastig sprang sie auf und lief zum Haus zurück. Sie musste sofort ihre Hände waschen, alles andere hatte zu warten. Hannes war tot, und Klärchen würde sicher bald wieder aus ihrem Versteck hervorkriechen, wenn sie erst merkte, dass ihr Mann nicht mehr hinter ihr her war. Christel besaß noch die Geistesgegenwart, die Mordwaffe zu greifen, bevor sie zum Haus lief. Sie schrubbte ihre Hände, bis die Haut brannte. Danach konnte sie wieder klarer denken.
    Sie würde den Schürhaken säubern und an seinen angestammten Platz zurücklegen. Sie würde Hildchen füttern und sich in der schmutzigen Stube zu schaffen machen, bis Klärchen wiederauftauchte. Sie würde einen Teil ihrer Schuld dadurch abtragen, dass sie putzte, spülte, den Tisch abschmirgelte, Essen kochte und alles in ihrer Macht Stehende tat, damit Klärchen sich hier wieder heimisch fühlen konnte. Sie würde ihr erklären, was vorgefallen war, und gemeinsam würden sie überlegen, was zu tun war. Denn eines wollte Christel ganz sicher nicht: für diesen Mord belangt werden und womöglich ins Zuchthaus wandern.
    Sie band sich Klärchens verdreckte Schürze um und machte sich ans Werk. Sie schuftete und rackerte, bis die Nacht hereinbrach – und sie plötzlich von draußen Rufe vernahm.
    »Christel, bist du hier?« Es war Franz. Er sah durch das Küchenfenster, indem er seine Augen mit der Hand abschirmte. Kurz darauf trat er ein.
    »Meine Güte, Christel, was treibst du hier? Bist du von Sinnen?«
    Von Sinnen, dachte sie, war sie tatsächlich, wenn auch anders, als Franz es gemeint hatte. Sie begann zu heulen und warf sich in die Arme ihres Mannes. »Mein Gott, oh mein Gott!«, schluchzte sie.
    »Was ist los, Liebchen?« Er tätschelte ihren Kopf, klopfte ihr dann auf den Rücken.
    »Es ist was Furchtbares passiert. Ich hatte gehofft, dass du noch kommst und mich holst. Ich habe solche Angst, Franz!«
    Er schaute sie fragend an.
    »Hannes … Hannes ist tot. Er liegt da draußen, an der Waldgrenze. Jemand hat ihn erschlagen. Und Klärchen ist fort. Ich habe alles nach ihr abgesucht, habe gerufen, aber ich konnte sie nirgends entdecken. Bestimmt ist sie auch tot!« Sie weinte nun hemmungslos. »Da draußen sind Mörder unterwegs, Franz!«
    Christel

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