Das Mädchen am Rio Paraíso
Gegenleistung zu erwarten. Mochte der Hausherr auch ein wenig düster wirken, mochte Teresa auch afrikanischer Abstammung sein – beide hatten ihr mehr Nächstenliebe angedeihen lassen, als sie jemals würde zurückgeben können. Immerhin konnte sie ihren guten Willen zeigen: Ab sofort würde sie sich im Haushalt unentbehrlich machen. Es konnte ja nicht angehen, dass man ihr den ganzen Tag den Allerwertesten herumhob. Sie war tüchtig, sie war fast wieder gesund, und sie war harte Arbeit gewohnt. Es gab keine einzige Aufgabe im Haus oder im Garten, der sie sich nicht gewachsen sah, außer vielleicht der, ein original brasilianisches Gericht zuzubereiten. Ein Kaffee würde ihr aber ganz gewiss gelingen.
Sie stand auf, zog sich leise an und ging auf Zehenspitzen hinunter. Sie trug die Öllampe von ihrem Nachttisch vor sich her. Als sie ihren verzerrten Schatten an der Wand im Treppenhaus sah, zuckte sie zusammen. Ein sonderbares Gefühl war das, im Dunkeln durch das Haus anderer Leute zu schleichen. Dabei hatte sie sich wirklich nichts vorzuwerfen. Man hatte ihr bisher immer zu verstehen gegeben, sie solle sich wie zu Hause fühlen. Außerdem tat sie ja nichts Verbotenes. Sie wollte nur schon einmal den Kaffee kochen – in der Hoffnung, dass Teresa diese Geste als kleines Dankeschön und nicht etwa als Einmischung auffassen würde.
Kaum eine halbe Stunde später stieß Teresa zu ihr in die Küche. Inzwischen war es draußen hell genug geworden, dass man auch ohne Lampe einigermaßen zurechtkam. Die Schwarze gähnte und murmelte dann »bom dia«, was, wie Klara gelernt hatte, »guten Morgen« hieß. Sie äußerte keine Silbe zu den frühmorgendlichen Machenschaften Klaras, sondern ging schweigend zum Herd, packte den Griff der Kanne mit einem Topflappen und goss sich eine Tasse ein. Mit der setzte sie sich an den Tisch, stützte beide Ellbogen darauf und blies auf den schwarzen, ungesüßten Kaffee. Dann nippte sie vorsichtig daran – und spuckte beinahe wieder alles aus.
»Deus no céu, você chama isto de café, menina?«
Klara war enttäuscht. Was hatte sie falsch gemacht? Und warum nannte Teresa sie auf einmal wieder Menina?
Schwerfällig erhob Teresa sich, schüttete den ganzen von Klara zubereiteten Kaffee fort und rief sie dann zu sich. Sie wies sie an, Bohnen zu mahlen, während sie selber einen neuen Kessel mit Wasser aufsetzte.
»Olha bem. É assim que se faz um café decente.« Von dem gemahlenen Kaffee löffelte sie die dreifache Menge dessen, was Klara genommen hatte, in das Stoffsieb und übergoss ihn mit dem kochenden Wasser.
Klara hielt die Menge des Pulvers für maßlos übertrieben, aber als sie den ersten Schluck des Gebräus probiert hatte, musste sie zugeben, dass dieser Kaffee viel besser schmeckte als ihre Labberbrühe – allerdings musste man ihn schon mit sehr viel Milch und Zucker genießen, um nicht auf der Stelle Herzrasen zu bekommen.
Sie erklärte Teresa durch Zeichensprache, dass sie sich diese Zubereitung einprägen und in Zukunft immer den Kaffee kochen würde, wenn sie so früh auf war.
»
Está bem, menina, você que sabe. Aber komm mir nicht auf die Idee und mach uns auch noch ein ungenießbares europäisches Frühstück.«
Klara imitierte Teresas Gestik und wackelte verneinend mit dem Kopf, als ob sie auch nur ein Wort verstanden hätte. Nein, sie würde bestimmt nichts kaputt machen, und nein, sie würde auch nicht mit dem Herdfeuer herumspielen.
Im Verlauf des Vormittags wiederholte sich diese Prozedur mehrfach. Klara erledigte unaufgefordert eine Aufgabe, Teresa zeigte ihr daraufhin, wie es richtig ging. Es verdross Klara, dass sie der Schwarzen anscheinend gar nichts recht machen konnte. Erst waren ihr die Brotscheiben zu dünn abgeschnitten, dann der Reis nicht sorgfältig genug gewaschen, schließlich der Tisch falsch gedeckt. Warum in aller Welt sollte man den Laib Brot so zerschneiden, dass nur mickrige sechs Scheiben dabei herauskamen? Daraus konnte man leicht die doppelte Anzahl bekommen! Wieso musste man den Reis so oft waschen? Ihr war er sauber vorgekommen, außerdem wurde er doch hinterher gekocht, oder etwa nicht? Und was zum Teufel spielte es für eine Rolle, auf welche Seite des Tellers man die Serviette legte? Bei ihnen in Ahlweiler hatte es überhaupt keine Servietten gegeben. Klara war wütend – nicht nur auf Teresa, die unbarmherzig an ihr herumkrittelte, sondern auch auf sich selber, weil sie merkte, was für ein Bauerntrampel sie doch
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