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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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hing er so an seiner
estância
in der Pampa? Wahrscheinlich würde er sich niemals dauerhaft in der Stadt niederlassen wollen. Nun ja, für solche Dinge gab es ja typisch weibliche Kniffe und Tricks. Und die Tatsache, dass er ihr zuliebe seinen Aufenthalt in Porto Alegre verlängert hatte, sprach ja Bände über seine Anpassungsfähigkeit.
    Es hatte nicht mehr erfordert als ein vorgetäuschtes Stolpern, um sich ein wenig mehr Zeit mit Raúl zu erschleichen – Zeit, in der sie Gelegenheit gehabt hatte, ihn mit ein paar Seufzern sowie dem Anblick ihrer zarten Fesseln zu betören. Natürlich war ihr bei dem Sturz auch der Ausschnitt ein wenig tiefer gerutscht, und ihr keusches Flattern mit den Lidern hatte ein Übriges getan. Und was für ein
Zufall,
dass sie gerade an jenem Tag ihr vorteilhaftestes Kleid dabeigehabt hatte! Josefina wusste, dass sie darin hinreißend aussah, dass das Kleid ihre Taille schmaler, ihre Brust üppiger und ihren Teint alabastergleich erscheinen ließ.
    Da sah man es mal wieder: Männer reagierten vollkommen vorhersehbar auf gewisse optische Reize. Und Raúl Almeida bildete da keine Ausnahme. Er übersah ja sogar, was er da für eine kleine blonde Schönheit in seinem Haushalt beschäftigte, nur weil diese ihre Anmut unter scheußlichen Kleidern verbarg und ihr Haar zu kindischen Zöpfen geflochten trug. In diesem Fall war es natürlich von Vorteil, dass er ebenso berechenbar – und blind – wie seine Geschlechtsgenossen war. Ansonsten aber fand Josefina es eigentlich schade, dass er anderen Männern so sehr glich. Sie hatte ihn für etwas Besonderes gehalten. Doch bei dem Gedanken an das Juwel, mit dem er sich ihr zweifellos in Kürze erklären würde, streifte sie ihre vage Enttäuschung über die mangelnde Herausforderung ab. Welchen anderen Grund sollte Raúl sonst gehabt haben, einen der namhaftesten Juweliere der Stadt aufzusuchen, als den, ihr ein kostbares Geschenk zu kaufen? Das Schmuckstück wäre durchaus etwas Besonderes, das stand für Josefina außer Frage.
    Und sie würde es mit errötenden Wangen annehmen.

[home]
20
    K lara Wagner. Hannes Wagner. Hildegard Wagner.
    Warum sah Senhor Raúl sie so lauernd an? Ja, doch, das waren sie selber, ihr Mann und ihre Tochter. Also hatte etwas in der Zeitung über sie gestanden. Ihr wurde bang ums Herz. Nun würde sie vielleicht endlich erfahren, was ihrer geliebten kleinen Hilde, was ihnen allen zugestoßen war. Denn sosehr Klara sich auch bemühte, noch immer setzte ihre Erinnerung in dem Augenblick aus, in dem die Figur vom Bord gefallen war, und sie setzte in jenem Moment ein, in dem sie in ihrem Zimmer hier im Haus die Augen aufgeschlagen hatte.
    Raúl war wütend. Sie hatte also die ganze Zeit gelogen. Sie hatte gewusst, dass sie nicht Liesenfeld, sondern Wagner hieß, und sie hatte ihnen verschwiegen, dass sie eine Familienmutter war. Wo hatte sie eigentlich ihren Ehering gelassen? Sie hatte ihn abgenommen, und zwar in der Absicht, sie alle zu täuschen. Sie hatte sich als eine andere ausgeben wollen. Ungehalten fragte er sie unter Zuhilfenahme entsprechender Gesten, warum sie keinen Ring trug.
    Ach, das. Klara verstand nicht, wieso ihr Retter sich über derartige Lappalien aufregte. Sie hatte den Ring, den Hannes ihr gleich nach der Ankunft in Porto Alegre gekauft hatte, bei der harten Arbeit nie getragen, weil er scheuerte. Hannes hatte seinen ebenfalls nicht getragen – die Ausgabe hätten sie sich wirklich sparen können.
    Wieso der werte Senhor Raúl auf einmal so katholisch tat, war ihr unbegreiflich. Er ging ja nicht einmal regelmäßig in die Kirche. Und warum erklärte er ihr denn nicht endlich, was genau in dem Artikel stand?
    Raúl nahm nicht die Beklommenheit, sondern nur den Zorn in Klaras Augen wahr und steigerte sich noch mehr in seine Wut. Aha. Dieses durchtriebene Biest versuchte es nicht mit Leugnen und Schöntun und Vergesslichkeit, nein, sie versuchte ihn dadurch ins Unrecht zu setzen, dass sie ihm,
ihm!,
irgendwelche Schandtaten unterstellte, welche das auch immer sein mochten. Ihr Ausdrucksvermögen unterbot sogar noch ihr angeblich lückenhaftes Erinnerungsvermögen. Doch dass sie aufgebracht war, war nicht zu übersehen.
    »Morgen früh übergebe ich dich der Polizei. Sollen die doch herausfinden, was da in euerm Urwaldkaff passiert ist.«
    Polícia
 – das war alles, was Klara von diesem Schwall verstand. Wieso begriff der Mann nicht endlich, dass sie gerne wüsste, was er ihr eigentlich vorwarf?

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