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Das Mädchen am Rio Paraíso

Das Mädchen am Rio Paraíso

Titel: Das Mädchen am Rio Paraíso Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ana Veloso
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tief in düstere Gedanken versunken verließ er die Räume des »Jornal da Tarde«.

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25
    Baumschneis im Bezirk São Leopoldo,
    am 14 . Februar 1825
     
    Geliebter Vater, liebe Geschwister, Schwäger und Schwägerinnen, liebe Neffen und Nichten!
     
    Ja, da schaut Ihr wohl – ein Brief aus Brasilien! Ich weiß nicht, wann und wie er Euch erreicht, aber Ihr haltet ihn ja in den Händen und wisst: Hannes und Klärchen haben es geschafft.
    Wir denken so oft an Euch. Ihr fehlt uns, nicht nur im Herzen, sondern auch in vielen praktischen Angelegenheiten, bei denen wir Beistand und guten Rat gebrauchen könnten. Da fragen wir uns manchmal: Wie hätte der Vater das gelöst? Was hätte Theo darüber gedacht? Wie hätte Hildegard gehandelt? Und so seid Ihr immer bei uns, in Gedanken, und helft uns dabei, in der neuen Heimat zurechtzukommen.
    Über die sehr beschwerliche Reise, die trotz aller Hindernisse letzten Endes gut verlaufen ist, mag ich Euch nun eigentlich gar nichts mehr erzählen, da sie mir schon eine Ewigkeit zurückzuliegen scheint, nur so viel: Hannes hat mich auf dem Schiff zur Frau genommen – ich heiße jetzt also Klara Wagner, der Kapitän hat uns getraut, und unsere Mitreisenden haben mit uns gefeiert. Es war ein sehr schönes Fest, obwohl ich mir schmerzlich Eurer Abwesenheit bewusst war. Wie schön wäre es gewesen, Euch dabeizuhaben und mit Euch gemeinsam den größten Tag meines Lebens zu begehen! Seid versichert, dass ich trotz der Einschränkungen an Bord eine sehr hübsche Braut war und der Hannes der stattlichste Bräutigam, den man sich nur wünschen kann.
    Aber wie gesagt, das alles kommt mir vor, als wäre es in einem anderen Leben passiert. Seit wir hier im Süden des Kaiserreichs Brasilien eingetroffen sind, hat sich so viel getan, dass ich kaum weiß, womit ich beginnen soll. Zunächst einmal: Die Werber hatten nicht zu viel versprochen. Wir wurden sehr freundlich empfangen, man gab uns das versprochene Land sowie Vieh und alles andere, was man für den Anfang braucht. Brasilien ist ein riesiges Land, alles ist größer als im Hunsrück, und so fanden wir uns von einer Großzügigkeit umgeben, wie wir sie uns daheim gar nicht leisten können. Stellt Euch nur vor: Unsere Parzelle ist größer als das Ackerland des Stotter-Pauls! Es läuft ein Bach direkt über unser Grundstück, und die Erde ist so fett, dass aus jedem Körnchen, das zu Boden fällt, eine kräftige Pflanze wächst. Auch ist das Wetter dem Wachstum der Pflanzen überaus förderlich, denn es ist sehr warm und regnet häufig – man hat uns erzählt, dass zwei Ernten im Jahr durchaus üblich seien, und allmählich beginne ich das sogar zu glauben.
    Wir leben in einem kleinen Haus, das bisher nur mit dem Nötigsten eingerichtet ist. Zuerst mussten und müssen wir uns ja darum kümmern, dass wir und unser Vieh immer genügend Nahrung haben, und da blieb noch keine Zeit, ein schönes großes Haus zu bauen. Aber ich hege keine Zweifel, dass wir schon bald ein geräumiges Heim bewohnen können, in dem Platz für viele Kinder ist – das erste erwarte ich gerade. Ja, Ihr lest richtig, Hannes und ich werden bald Eltern, und wir können es kaum abwarten! Mir geht es sehr gut, die viele Arbeit, die wir als erste Siedler dieses Landstriches zu leisten haben, schadet mir und dem Kind, das ich unter dem Herzen trage, überhaupt nicht. Mir scheint vielmehr, dass die hoffnungsfrohe Stimmung, die von Hannes und mir Besitz ergriffen hat, sich auf das Kleine überträgt. Wenn die Umgebung und unsere Laune auch nur ein ganz kleines bisschen abfärben, dann wird unser Erstgeborenes bestimmt ein sonniges Gemüt und eine unkomplizierte Natur haben, es wird wachsen und gedeihen, dass es die reine Freude ist, und es wird stark wie einer der vielen Bäume werden, die hier in schier unüberschaubarer Anzahl wachsen und die wir nach Herzenslust abholzen dürfen.
    Wir sind Besitzer eines ganzen Waldes, ist das zu glauben? Kein Jäger von Kurpfalz treibt hier sein Unwesen, höchstens ein paar Indios – so nennen sie hier die Ureinwohner –, aber die sind uns bisher nur als scheue Wesen begegnet, die sich ebenso wenig Unfrieden wünschen, wie wir es tun.
    An einigem herrscht natürlich schon Mangel, aber das hatten wir ja auch nicht anders erwartet. Es leben noch nicht sehr viele Leute hier, so dass es weder Schulen noch Kirchen gibt. Aber mit der wachsenden Zahl an neuen Siedlern werden wir sicher bald eine richtige kleine Gemeinde haben, in

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