Das Mädchen auf den Klippen (German Edition)
Daddy hat die Bilder gemalt.“ Janice reichte ihr einen der Becher. „Pass auf, dass du dich nicht verbrühst.“
„Wo ist mein Daddy?“, fragte Maureen. Sie nippte an ihrer Milch. „Er hat mich oft besucht, dann ist er nicht mehr gekommen. Bestimmt habe ich etwas Böses getan und er...“
„Nein, du hast nichts Böses getan, Sweetheart“, fiel ihr die junge Frau ins Wort. „Dein Daddy ist gestorben.“
„Wie meine Mommy“, meinte Maureen. „Der Mann hat meiner Mommy wehgetan. Sie hat geschrien und wollte, dass ich davonlaufe. Ich bin in die Höhle gerannt und wollte mich in einem der Schmugglergänge verstecken. Der Mann hat mich gefunden und nach draußen gezerrt und da lag meine Mommy und...“
Janice konnte ihr gerade noch den Becher aus der Hand nehmen und auf den Nachttisch stellen. Liebevoll schloss sie das weinende Mädchen in die Arme. „Es wird alles gut“, versprach sie. „Glaube mir, Sweetheart, es wird alles gut.“ Sie ahnte nicht, dass Joan Winslow ihre Tochter oft Sweetheart genannt hatte.
20. Kapitel
Als Janice am nächsten Morgen erwachte, war sie sich nicht sicher, ob sie in der vergangenen Nacht tatsächlich mit Maureen unten am Strand gewesen war und das Mädchen sein früheres Selbst zurückgefunden hatte. Womöglich war alles nur ein Traum gewesen. Fast bewegungslos lag sie im Bett und schaute durch das Fenster nach draußen. Der Himmel zeigte nicht ein einziges Wölkchen. Es schien ein strahlend schöner Tag zu werden.
Nein, es war kein Traum, dachte sie und richtete sich im Bett auf. Ihr Blick fiel auf das Kleiderbündel, das sie auf einen Stuhl geworfen hatte. Da sie nicht zur Unordentlichkeit neigte, musste sie schon sehr müde gewesen sein, um ihre Sachen so zu hinterlassen.
Sie stand auf und strich über ihren Pullover. Unter ihren Fingern spürte sie Sand.
Die junge Frau schlich sich auf Zehenspitzen ins Kinderzimmer hinüber. Maureen schlief noch. Um ihre Lippen lag ein Lächeln. Ihre alte, zerfledderte Puppe hielt sie an sich gedrückt. Auch ihre Kleidung lag unordentlich auf einem Haufen und war voller Sand. Es sah aus, als wäre es wirklich kein Traum gewesen.
Janice ging sich duschen und anziehen, danach bereitete sie in der Küche ein verspätetes Frühstück. Sie fühlte sich so beschwingt und leicht, wie schon lange nicht mehr. Auch wenn sie sich das alles nicht erklären konnte, sie war in der Nacht Zeugin von etwas so Wunderbarem geworden, dass dem gegenüber alles andere verblasste. Und David hatte damit zutun. Also hatte sie es sich nicht eingebildet, dass ihr Sohn noch immer bei ihr war. Er hatte Maureen geholfen.
Sie wollte gerade nach oben gehen, um ihren Schützling zu wecken, als das Mädchen im Schlafanzug in der offenen Tür stand. „Guten Morgen, Maureen“, sagte Janice und lächelte ihr zu. „Gut geschlafen?“
Maureen nickte. „Bleibe ich jetzt für immer hier?“, fragte sie.
Janice hatte nicht sobald mit einer derartigen Frage gerechnet. „Ich muss dich am Montag ins Heim zurückbringen“, erwiderte sie. „Allerdings wird man sich sehr wundern, dass du jetzt wieder genauso normal bist, wie die meisten anderen Menschen.“ Sie zog Maureen an sich. „Ich weiß, dass ist bestimmt alles etwas verwirrend für dich. Seerose House ist dein Zuhause, inzwischen alle rdings auch meines. Ich habe es von deinem Vater gekauft.“
„Wenn du nicht gewesen wärst, hätte ich meine Seele nicht zurückbekommen“, sagte Maureen. „Ich möchte bei dir ble iben.“
„Es wird nicht einfach sein, aber ich werde versuchen, dass ich dich als Pflegekind zu mir nehmen darf“, versprach Janice. Sie hatte ja ohnehin vorgehabt, für Ma ureen zu sorgen.
Nach dem Frühstück rief sie Dr. Thornberry in der Klinik an und erzählte ihm, was in der Nacht passiert war. Er konnte es kaum glauben. „Bist du dir sicher, dass du dir nicht nur etwas vormachst?“, fragte er. „Dass...“
„So sicher, wie sich ein Mensch nur sein kann“, fiel sie ihm ins Wort und schaute aus dem Fenster. Maureen saß auf der Terrasse und blätterte in dem Buch, das ihre Eltern ihr zum Geburtstag geschenkt hatten. Sie hatte es mit einigen der anderen Spielsachen vom Boden geholt. „Maureen hat viel nachzuholen. In mancher Hinsicht ist sie wie ein fünfjähriges Mädchen, andererseits weiß sie, dass sie in einem Heim lebt und die letzten Jahre wie in Trance verbracht hat.“
„Hat sie dir etwas über den Mord an ihrer Mutter erzählt? Kennt sie den Mann, der ihr das angetan
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