Das Mädchen aus Bernau: Historischer Roman (German Edition)
sie ab. Sie starrte den Kopf des Schimmels an, an dem die Adern fein verästelt heraustraten.
»Wenn Ihr ihn wiederseht – könnt Ihr ihm wohl eine Botschaft von mir ausrichten?«
»Ich sehe ihn nicht wieder.« Selbst wenn er es wollte, ich will ihn nie mehr sehen.
»Hier, darauf habt Ihr mehr Anrecht als ich.« Sie zog den schillernden Stein aus ihrem Beutel und schob ihn Magda in die nun wieder leere Hand. »Bitte sagt ihm, Afra bittet um Verzeihung. Und sie wünscht ihm allen Frieden der Welt.«
»Seid Ihr taub? Ich sehe ihn nicht wieder.« Magda hätte den Stein gern fallen lassen, doch ihre Finger öffneten sich nicht. »Wenn das, was Ihr ihm zu sagen habt, so wichtig ist, dann geht in die Klosterstraße und bestellt es ihm selbst.«
Abrupt schwang sie herum und flüchtete hinter ihren Scharren. Den Stein stopfte sie zu den Münzen und begann in fliegender Geschäftigkeit, Krüge und Becher neu auszurichten. Durch das Summen des Marktlärms vernahm sie, dass die Stadtknechte mit Afra von Parstein sprachen. Als sie aufblickte, hatten sie der Adligen aufs Pferd geholfen und führten sie durch die Menge. Wie eine schmutzige Königin thronte die blonde Elfe im Sattel. »Auf Wiedersehen, Magda!«, rief sie auf ihren Kopf hinunter. »Bitte hasst mich nicht, und solltet Ihr je meine Hilfe benötigen, lasst es mich wissen. Ich wäre unendlich froh – und nicht nur ich.«
24
Wie es die Regel verlangte, war Pater Martinus als Minister des Provinzialkapitels abgelöst worden, doch die Gemeinschaft des Berliner Klosters hatte ihn erneut zum Guardian gewählt. Auf den Versammlungen des Kapitels hatte Thomas ihn wohl zu Gesicht bekommen, doch in den sieben Monaten, die seit seiner Aufnahme verstrichen waren, hatte er kein Wort mehr mit ihm gewechselt. Jetzt hatte der Guardian ihn in sein Sprechzimmer bestellt. Eine gute Nachricht konnte das kaum bedeuten, und Thomas hatte beileibe keine verdient.
Er hatte drei Tage außerhalb des Klosters verbracht und war eigens für diese Unterredung zurückgerufen worden. Hätte der Guardian ihm eine Strafe erteilen wollen, so hätte er sie vor dem Kapitel verhängt und vollstreckt. Was er zu sagen hatte, musste schlimmer sein als das.
Während er vor der Tür des Sprechzimmers wartete, empfand er kaum Furcht, nur Müdigkeit. Alle anderen Gefühle schienen in ihm abgestorben wie die Fingerglieder des Mannes, der in der Nacht auf seinen Knien verendet war. Der Tod des Mannes hatte allerdings noch ein Gefühl in ihm ausgelöst. Der Alte hatte sich in den Tod geweint, und hinterher waren Thomas’ Wangen so nass gewesen wie seine.
»Hast du mich nicht rufen hören, Thomas? Du siehst aus, als schliefest du im Stehen.«
Scharf rief sich Thomas zur Ordnung. »Ich bitte um Vergebung, Pater. In den letzten Nächten kam ich wenig zum Schlafen.«
Pater Martinus nickte. »Davon habe ich gehört. Was ist dir lieber? Willst du das Gespräch vertagen und dich bis zur Non niederlegen? Oder willst du dieses Zaubermittel ausprobieren?«
Er hielt Thomas die Handfläche hin, auf der ein grünes Pfefferkorn lag. Manche der Brüder schworen auf dieses Mittel, um der Übermüdung standzuhalten. Ohne Zaudern griff Thomas zu und schob sich das Korn zwischen die Lippen. Als er daraufbiss, entfuhr ihm ein Laut. Ohne Zweifel, der Pfeffer würde seine Wirkung tun. Er hatte ihn nicht genommen, weil er tatsächlich fürchtete, im Stehen einzuschlafen, sondern weil es wohltat, zu spüren, dass nicht jede Empfindung in ihm abgestorben war.
»Hilft es?« Der Pater lächelte.
»Umwerfend.«
»Dann nur herein.«
Wie damals setzte der Pater sich auf den Schemel beim Pult, den er, wie Thomas inzwischen wusste, auch bei Schreibarbeiten benutzte, weil er aufgrund einer Verletzung nur unter Schmerzen stehen konnte. Als Knabe hatte er sich bei einem Sturz vom Pferd den Rücken gebrochen und war zum Sterben vorbereitet worden. Sein Überleben galt als Wunder und als Gnadenakt Gottes, aber Thomas fragte sich, wie viel Gnade in einem Leben unter ständigen Schmerzen liegen mochte. Er zwang sich, den eigenen Rücken zu straffen. Es tat seinem Fleisch nicht mehr weh, doch die glühende Lohe, die von der Schmach stammte, schoss ihm stets aufs Neue durch den Leib.
»Willst du dich nicht setzen?«
»Ich bliebe gern stehen.«
»Wie beliebt«, erwiderte der Pater. »Ich will dich nicht auf die Folter spannen, Thomas. Eigentlich hatte ich erwartet, du würdest mich dieser Tage aus eigenem Antrieb aufsuchen. Findest du
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